Die Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft bietet das größte, interdisziplinär geprägte Studien- und Forschungsangebot unter den 13 Fakultäten der Universität Bielefeld. Die intensive Verzahnung von Forschung und Lehre ist ein besonderes Qualitätsmerkmal der sieben Studienfächer unserer Fakultät. Die Anglistik/Amerikanistik, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Germanistik, Kunst- und Musikpädagogik, sowie die Linguistik, die Literaturwissenschaft und die Sprachliche Grundbildung bieten eine große Zahl vielfältiger fachwissenschaftlicher und lehramtsbildender Studiengänge im Bachelor und Master an, die untereinander und mit den Angeboten anderer Fakultäten kombiniert werden können. Von der Klinischen Linguistik, der Literaturwissenschaft, der Computerlinguistik und den Interdisziplinären Medienwissenschaften über die klassischen Lehramtsfächer und Philologien wie Anglistik, Germanistik, Latein und Romanistik bis hin zu DaF/DaZ und Kulturvermittlung bietet die Fakultät das Lehr- und Forschungsangebot einer großen geisteswissenschaftlichen Fakultät mit rund 40 Professuren und mehr als 3.000 Kernfachstudierenden.
Prof. Dr. Johannes Voit
Dekan
Rolf Grimminger begann seinen wissenschaftlichen Weg in München in der ‚Altgermanistik‘, wie man die Germanistische Mediävistik damals nannte. Der Gegenstand seiner Doktorarbeit von 1966 war die frühe deutschsprachige Lieddichtung, vor allem die des ersten namentlich bekannten Minnesängers ‚Der von Kürenberg‘ mit seinem berühmten ‚Falkenlied‘. Der junge Doktorand ging von der damals nicht selbstverständlichen Voraussetzung aus, dass auch die Mediävistik auf Theorie nicht verzichten kann. Neben hier naheliegenden Begriffen wie ‚(lyrischer) Wechsel‘ oder ‚Symbol‘ kam dabei die Kategorie ‚Gesellschaft‘ deutlich ins Spiel, etwa in Grimmingers These vom „gesellschaftlichen Leitbild einer gesellschaftslosen Liebe“. So etwas hatte in der Folge dann Konjunktur. Die Dissertation erschien 1969 unter dem Titel ‚Poetik des frühen Minnesangs‘ bei C.H. Beck in München und gilt noch heute als relevantes Werk zur Erforschung dieser Liedkultur des Mittelalters.
Wenn Grimminger in seiner universitären Karriere von mittelalterlichen zu neuzeitlichen Themen wechselte, tat er übrigens nichts Ungewöhnliches. Dass die beiden Qualifikationsschriften in unterschiedlichen ‚Abteilungen‘ (der ‚Alten‘ bzw. der ‚Neuen‘) der Germanistik geschrieben wurden, hat man an vielen Universitäten geradezu erwartet. Das zeugt von einem Verständnis des Faches ‚in seiner ganzen Breite‘ (wie es in vielen Ausschreibungen hieß): Neben der neueren Literatur müssen auch Texte aus dem Mittelalter und aus der Frühen Neuzeit angemessen in Forschung und Lehre der Germanistik berücksichtigt werden.
Nach einer nur einjährigen Tätigkeit an der Universität Oldenburg wurde Rolf Grimminger 1976 auf die Professur für Germanistische Literaturwissenschaft und Ästhetik an die Universität Bielefeld berufen. Konsequent verfolgte er hier ein Projekt, das die enge Verzahnung von Literatur und ihren gesellschaftlichen Entstehungs- und
Wirkungsbedingungen untersuchte. Richtungsweisend wurde in diesem Zusammenhang die Sozialgeschichte der deutschen Literatur, die im Hanser Verlag erschien.
Die von Rolf Grimminger vertretene Sozialgeschichte der Literatur verstand sich nicht als sektoral abgegrenzte Disziplin, sondern als ein integrativer und interdisziplinärer Zugriff, der politische, wirtschaftliche und bewusstseinsgeschichtliche Dimensionen einbezog. Literatur – auch in ihren ästhetisch anspruchsvollsten Formen – verarbeitet gesellschaftliche Wirklichkeit und ist in ihren Sinnstrukturen auf historische Bewusstseins- und Handlungsformen bezogen. Dabei entstehen produktive Spannungen zwischen literarischer Autonomie und sozialer Realität, die selbst als soziale Tatsachen wirksam sind und Lektüre wie Rezeption strukturieren, aber als dialektisches Konfliktmodell auch die ästhetische Gestaltung literarischer Werke mit bestimmen.
Ziel der Sozialgeschichte der deutschen Literatur war es, Literaturgeschichte im Spannungsverhältnis von Textstruktur und Lebenspraxis zu erschließen, ohne sie auf funktionalistische Modelle zu reduzieren. Die einzelnen, von Grimminger u.a. herausgegebenen Bände kombinieren daher einführende Analysen gesellschaftlicher Kontexte – insbesondere der Institutionen literarischer Öffentlichkeit – mit literarästhetisch fundierten Werk- und Gattungsanalysen. Diese doppelte Anlage reflektiert das Erkenntnisinteresse einer Literaturwissenschaft, die literarische Eigenart ernst nimmt und sie zugleich historisch vermittelt versteht. 1986 erschien – recht verspätet – seine Habilitationsschrift Die Ordnung, das Chaos und die Kunst bei Suhrkamp. Grimminger begreift darin den Roman des 18. Jahrhunderts als eine Gattung, die ihre ästhetische Kraft aus der Überschreitung vernunftgeleiteter Ordnungen bezieht. Literatur wird zum Ort der Spannung zwischen Rationalität und deren kritischer Durchbrechung – ein dialektisches Spannungsverhältnis, das sowohl in zeitgenössischen ästhetischen Theorien als auch in Texten von Goethe, Schiller, Schlegel und Kleist anschaulich wird. Grimmingers Interesse an Literatur als reflexiver Form, die normative Systeme unterläuft und zugleich neue Sinnordnungen eröffnet, zeigt sich hier in besonderer Klarheit – und prägte seine weitere Tätigkeit als Hochschullehrer in Bielefeld.
Dabei galt sein Interesse immer auch der Literaturvermittlung in die außeruniversitäre Welt, der sogenannten Third Mission – etwa im Projekt Funkkolleg Literarische Moderne, das er gemeinsam mit Jurij Murašov und Jörn Stückrath leitete und bundesweit ausgestrahlt wurde. Wie auch die Sozialgeschichte der deutschen Literatur markierte das Funkkolleg die damals notwendig gewordene Ablösung vereinzelter Gelehrtenmonographien durch namhafte Autor*innen- Kollektive, die unter Grimmingers Regie ihre Forschungsinteressen im Austausch entfalten konnten. Grimminger blickte ebenfalls in seinen Lehrveranstaltungen stets über den germanistischen Tellerrand hinaus; seine außerordentlich guten Kenntnisse insbesondere der lateinamerikanischen und italienischen Literatur, aber auch des Neuen Deutschen Films und der Filmdramaturgie Pasolinis oder Hitchcocks fanden großes Interesse, auch bei den Studierenden. Diese Resonanz zeigte sich auch in den Lehrveranstaltungen, die Grimminger gemeinsam mit Kolleg:innen aus anderen Disziplinen durchführte, zum Beispiel mit der Historikerin Ingrid Gilcher-Holtey zur literarischen Avantgarde, oder seine kurze Rückkehr ins Mittelalter, als er im WS 1997/1998, zusammen mit dem Mediävisten Otto Langer ein Seminar zur „Mystik“ organisierte. Jedem, der diese Veranstaltungen besuchte, werden kulturelle Praktiken und ästhetiktheoretisches Selbstverständnis von Mystikern und Avantgardisten ebenso im Gedächtnis bleiben wie Grimmingers Interpretationen friedlicher Revolten aus kreativer Freiheit.
Rolf Grimminger prägte mehrere Generationen von Literaturwissenschaftler:innen: Detlef Kremer (gestorben 2009) wurde Ordinarius an der Universität Münster, Iris Hermann ist Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Torsten Voß ist Senior Lecturer für Neuere deutsche Literatur an der Alpen-Adria- Universität Klagenfurt.
In seinen Lehrveranstaltungen wurde genau gelesen; immer stand die ästhetische Verfasstheit der Texte und damit die konkrete Erfahrbarkeit der Literatur und ihrer Nachbarkünste im Zentrum. Rolf Grimminger war ein engagierter Hochschullehrer, der die Meinungen seiner Studierenden schätzte und mit ihnen anregend diskutierte und der enthusiastisch vermittelt hat, die Literatur liebend lesen zu lernen, die Sinnlichkeiten der Literatur immer wieder neu zu entdecken und dafür alle Freiheiten gelassen hat, um ästhetische Erfahrung als einen eigenständigen Akt der Erkenntnis zu begreifen. Wie begrifflich präzise und zugleich weit derlei bei Grimminger aufgespannt war, verdeutlicht auch seine Verbundenheit mit der italienischen Kultur und Küche; eine Erzählung, 2004 gelesen im Rahmen der Kunstausstellung Das große Fressen in der Bielefelder Kunsthalle, dokumentiert es.
Nach seiner Emeritierung zog der gebürtige Münchner zurück in seine Heimatstadt und renovierte das elterliche Haus. Der Wissenschaft kehrte er den Rücken und widmete sich mit großer Kennerschaft dem Jazzklavier – sowie dem literarischen Schreiben und der engagierten Leitung verschiedener Schreibwerkstätten in Bielefeld und München. Damit knüpfte Grimminger an eine alte Leidenschaft an. Schließlich lud er selbst in den Neunziger Jahren immer wieder Autoren wie Jochen Schimmang, Hanns -Joseph Ortheil oder Klaus Modick zu Schreibseminaren nach Bielefeld ein und stellte einmal mehr in den Vordergrund, dass sich das Spezifische der Literatur, vor allem mit einer kreativen Annäherung erfassen und auch beschreiben lässt. Diese Bandbreite zwischen hermeneutischer Exegese und sinnlicher Erfahrung von Kunstwerken bestimmte – oft in dialektischer Verzahnung – Grimmingers Wirken in Lehre und Forschung.
Nach langer Krankheit ist Rolf Grimminger am 7. Juni 2025 in München gestorben. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau Susanne, seinem Sohn Andreas und den Enkelkindern Lukas und Mita. (Iris Hermann – Meinolf Schumacher – Torsten Voß)
Am 25. Juni 2025 hat Herr Benjamin Hinz sein Promotionsverfahren zum Thema 'Trancephänomene in Interaktion. Sprachliche Verfahren in hypnotherapeutischen Settings' erfolgreich bestanden. Die Arbeit wurde von Frau Job betreut.
Am 30. Juni 2025 hat Frau Kristina Spahn ihr Promotionsverfahren zum Thema 'Vaterfiguren in der Jugendliteratur seit der Jahrtausendwende' erfolgreich bestanden. Die Arbeit wurde von Frau Josting betreut.
Am 4. Juli 2025 hat Frau Petra Pluschinski ihr Promotionsverfahren zum Thema 'Diagnostik der oropharyngealen Dysphagien. Anwendung von Skalierungssystemen in der Dysphagiediagnostik am Beispiel von Sekretbeurteilungsskalen' erfolgreich bestanden. Die Arbeit wurde von Frau Hielscher-Fastabend betreut.