im Rahmen der ZiF:FG Theorie des sozialen Wandels
I. Wirtschaft und Gesellschaft in Jäger- und Sammlergruppen
11. Dezember 1997
II. Ursachen und Folgen der Neolithisierung für die Gesellschaft
12. -13. Dezember 1997
Sozialen Wandel gibt es seit den Anfängen menschlicher Kultur.
Die Entwicklung komplexer sozialer Bindungen gilt auch als eines der kennzeichnenden
Merkmale des Menschen. Ein Forschungsvorhaben über eine Theorie des
sozialen Wandels muß sich deshalb auch mit den gesellschaftlichen
Strukturen und Prozessen in der Urgeschichte befassen. So war es denn auch
geboten, daß bei dem heutigen, sich schnell verändernden Forschungsstand über diese Frühzeit in einer Tagung darüber informiert wurde.
ForscherInnen aus den Disziplinen Anthropologie, Ethnologie, Archäologie,
Alte Geschichte und Soziologie haben dabei die kulturellen und gesellschaftlichen
Strukturen der Hominiden, insbesondere des Homo sapiens sapiens, die als
Jäger und Sammler lebten, diskutiert, und in einem zweiten Teil wurden
die Gründe und revolutionären Folgen der Einführung von
Ackerbau und Tierhaltung für die Geschichte der Menschheit erläutert.
Im ersten Teil der Tagung stand vor allem die kognitive Entwicklung
des Menschen im Blickpunkt der Diskussion. Anhand der technisch hervorragend
gefertigten Funde und der komplexen Siedlungsbefunde, insbesondere aber
durch die erstaunlichen Höhlenmalereien wissen wir heute, daß
der Homo sapiens sapiens des Jungpaläolithikum vor etwa 40.000 Jahren
sich entwicklungsgeschichtlich kaum vom heutigen Menschen unterscheidet.
Er besaß alle den modernen Menschen auszeichnenden Eigenschaften;
er verfügte über eine Sprache, konnte denken, hatte ein Bewußtsein
und lebte in komplexen sozialen Verbänden. Sehr kontrovers wurde dann
jedoch die Frage diskutiert, inwieweit diese Eigenschaften auch für
die frühen Hominiden, etwa für den Homo erectus zutreffen. Denn
dieser verfügte über das Feuer, und er hatte den Faustkeil entwickelt,
als ein Werkzeug, geschaffen nach einem abstrakten Plan und mit Hilfe einer
durchdachten Technologie, das für eventuell eintretende Ereignisse
zu verwenden war. Einfache Werkzeuge kannte auch der Homo habilis, der
vor drei bis vier Millionen Jahren lebte und dem von einigen Autoren auch
weitere Eigenschaften des Menschen wie etwa symbolhafte Sprache zugebilligt
werden.
Die radikalen Veränderungen in der Lebensweise des Menschen, die
die Einführung der produzierenden Wirtschaftsweise mit sich brachten,
besser bekannt als sog. neolithische Revolution, wurden in mehreren Beiträgen
im zweiten Teil der Tagung hervorgehoben. Sie wurden in ihrer Bedeutung
mit der industriellen Revolution des 17. und 18. Jahrhunderts verglichen
und haben die Grundlagen für die moderne Kultur gelegt. Neben zahlreichen
theoretischen Überlegungen über die Folgen dieser Umwälzung,
die zeigten, daß z. B. die gewaltige Bevölkerungszunahme dort
ihre Wurzeln hat, wurde auch sehr anschaulich anhand neuester Fundkarten
die demographische Entwicklung in Mitteleuropa, die mit der Einführung
der produzierenden Wirtschaftsweise verbunden ist, dargelegt. Sie führte
schon gegen Ende des 5. vorchristlichen Jahrtausends zu einer bemerkenswerten
Verdichtung der Bevölkerung zu großen Dörfern, die auch
neue soziale Strukturen bedingt haben. Der Erfolg der Neolithisierung,
die die gesamte Kultur der Alten Welt überprägt hat, ist nicht
nur in ihrer Eigendynamik zu suchen, sondern es waren oft auch Prestigegründe,
die ihre Ausbreitung bewirkten, wie dies für Nordeuropa gezeigt werden
konnte.
Die Wurzeln und Anfänge zahlreicher Aspekte des sozialen Wandels
sind in der Urgeschichte angelegt. Die fehlende Schriftlichkeit erschwert
das Erkennen dieser Vorgänge und stellt der Forschung gewichtige methodische
Probleme. In diesem Sinne war die Tagung nicht nur fruchtbar für die
Thematik des Forschungsvorhabens, sondern ebenso ein Gewinn für die
beteiligten Disziplinen.
Teilnehmende
Marion Benz (Freiburg i.Br.),
Nicholas Conard (Tübingen),
Anne Birgitte Gebauer (Madison, WI),
Matthias Guenther (Waterloo),
Marlies Heinz (Freiburg i.Br.),
Jean-Marie Le Tensorer (Basel),
Jens Lüning (Frankfurt am Main),
Douglas T. Price (Madison, WI),
Horst Steible (Freiburg i.Br.),
Hans-Peter Uerpmann (Tübingen),
Wolfgang Bonß (Neubiberg),
Raymond Corbey (Leiden),
Hans Georg Gebel (Berlin),
Winfried Henke (Mainz),
Stefan Seitz (Freiburg i. Br.),
Jakob Rösel (Freiburg i. Br.),
Jeanette Werning (Freiburg i. Br.)
und die Mitglieder der ZiF:Forschungsgruppe
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