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  • Prof. Dr. Joachim Michael - InterAmerikanische Studien / Romanistik

    @Joachim Michael

Forschung / Investigación

Forschungsgebiete

Das Paradox der Zeit: Die Zeit gibt sich als unbeständig zu erkennen in ihren historischen Wandlungen, deren Grundlage sie selbst bildet. Zeit und Kultur bilden einen innigen Zusammenhang, nicht nur prägt die Kultur die Zeitwahrnehmung, das Zeitverständnis bedingt zugleich die Kultur in ihrem Grunde. Medien stiften und modellieren Zeiterfahrungen. Aber erst die Erzählung gestattet eine reflektierende Zeitperzeption, die sie in Szene setzt und zur Diskussion stellt.
Daher ist eine Reflexion der Zeit auf Literatur und Film angewiesen. Die Herausforderung besteht darin, die große Leistung der Moderne fortzuführen, die Zeit aus ihrer theologischen Begründung zu entlassen. Dann aber, das zeigt die Literatur in der Postmoderne, steht die Zeit bald selbst zur Disposition. Dies gilt es zu erörtern. Das Leben, so Jorge Luis Borges, ist allzu arm, um nicht gleichwohl unsterblich, also zeitlos zu sein.
Die erzählte Vergangenheit stellt sich als Geschichte dar. In ihrer Deutung der Zeit weist die Geschichte jedoch über Vergangenheit und Gegenwart hinaus und richtet sich auf das Kommende. Seit der Moderne stellt sich jedoch zunehmend die Frage, wie eine Geschichte zu akzeptieren ist, deren zeitlicher Wandel zunehmend fraglich wird. Der Ausgang aus solch einer Geschichte wird zu einem für die Moderne bestimmenden Problem. Das Bemerkenswerte an diesem apokalyptischen Zug ist, dass die Moderne den Bruch mit der Geschichte nicht mehr transzendental versteht sondern diesseitig bestimmt. Die Katastrophe erscheint dann nicht mehr als Unfall oder Ausnahme des Fortschritts sondern als Kennzeichen einer Unheilsgeschichte, die friedlich nicht zu überwinden sondern nur unter Einsatz der letzten Mittel zugunsten einer neuen Ära zu beenden zu sein scheint. Es gilt, deutlich zu machen, dass die Gewalt, die die Moderne hervorbringt, in dem Sinne einen totalitären und vernichtenden Charakter annimmt, als sie einen apokalyptischen Neubeginn anstrebt.

Die Geschichte einer Zeit, die nicht vergeht, erscheint traumatisch: die Vergangenheit hat die Gegenwart immer schon unterwandert, und die Zukunft wird daran nichts ändern. Das Vergangene entzieht sich der abschließenden Vergegenwärtigung, um die Gegenwärtigkeit selbst zu verunmöglichen. Als postmodern stellt sich daher die Abkehr von der Zukunft dar sowie die erinnernde Rückgewinnung des Vergangenen. Erzählend sucht die Postmoderne dem traumatischen Walten der Vergangenheit Einhalt zu gebieten und der Gegenwart zu ihrem Recht zu verhelfen.
Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch in der Unzugänglichkeit des Vergangenen, das durch seine Unverfügbarkeit das Verschwinden der Opfer forttreibt. Die Aussöhnung mit der Vergangenheit bleibt so lange unmöglich, wie sie sich nicht zeigt. Das Erzählen kann das Verlorene nicht zurückholen, aber zumindest aufzeigen, dass das Verlieren nicht aufhört.

Wenn Gattungen nicht als Ordnungsbegriffe verstanden werden, die klassifizieren sollen, sondern als offene Anknüpfungskontexte, die die Rede erst ermöglichen, da es, wie Lyotard anmerkt, keinen ersten Satz gibt sondern immer nur Verkettungen von Aussagen, dann erschließt sich die Wechselbedingung von Gattungen (oder Genre oder Format oder Texttyp) und Medien. Medien bringen Aussagen zum Erscheinen, sie sind dasjenige, was der Wahrnehmung zuvorkommt und sie erst ermöglicht, indem sie sich dieser entziehen. Gattungen wiederum verleihen den Aussagen Sinn, indem sie sie mit anderen in einem Zusammenhang verknüpfen, der ihnen eigen ist. Sie erscheinen damit nicht als stabile Systeme sondern verändern sich mit jeder neuen Aussage, die an ihnen anknüpft (und jeder alten, die in Vergessenheit gerät). Je nach Eigenart bestätigen sie Verknüpfungsgrenzen oder sie missachten sie. In letzterem Fall führen sie ihre Anknüpfungen nicht nur zwischen Gattungen fort sondern auch zwischen Medien, wodurch sie neue Verkettungskontexte herausbilden können. So wird deutlich, dass der intermediale Bezug nicht zuletzt durch die Gattungen hergestellt wird. Zugleich gerät in den Blick, dass die Gattungen sich zwischen den Medien bewegen. Der Übergang einer Gattung von einem Medium zum anderen stellt sich als intermediale Gattungspassage dar.
Interessant wird die intermediale und interkulturelle Gattungspassage für die medienkulturwissenschaftliche Analyse dadurch, dass sie nicht nur Kontinuität herstellt sondern auch Diskontinuität erzeugt, und weniger Identität bezeugt als vielmehr Alterität hervortreten lässt. Denn die Passage zwischen Medien und Kulturen lässt die Gattung nicht unbeeinträchtigt sondern verändert sie. Die Ausbildung eines neuen Anknüpfungskontextes kann sich nicht vollziehen ohne Anpassung an die jeweiligen kulturellen und medialen Bedingungen. Erstere geben sich in den Verkettungstraditionen zu erkennen, letztere in den performativen Eigentümlichkeiten, mit denen das Medium Wahrnehmung stiftet. Transposition bedeutet daher zugleich Transformation, die bis zum Bruch mit dem Bestehenden führt. Hierin rücken mit der interkulturellen und intermedialen Passage die Umbrüche der Kultur in den Blick, die von den interkulturellen Wechselbeziehungen und von der medialen Entwicklung ausgehen.

Das Verhältnis zwischen dem Imaginären und dem Film ist eines der wichtigsten Probleme in der Geschichte der Filmtheorie. Dennoch scheint diese Debatte keinen Abschluss finden zu können, nicht zuletzt weil sich der Film beständig fortentwickelt. Die bildkritische Rede, dass sich der Film an die Stelle der Vorstellungkraft setze, läuft schon deshalb ins Leere, da sie diesen als reine Vorgabe visueller Ausgestaltungen verkennt, der sich die ZuschauerInnen zu ergeben haben. Jedoch hat schon Christian Metz in den siebziger Jahren gezeigt, dass der Film (wie es die die Eigenschaft der technischen Medien allgemein ist) die konstitutive Abwesenheit im Zeichengeschehen noch steigert, als im Film nicht nur das Signifikat notwendigerweise abwesend ist sondern auch der Signifikant. Nichts von dem, was die ZuschauerInnen im Film sehen, ist anwesend: nicht nur die Geschichte, die die SchauspielerInnen und das Szenario darstellen, ist nicht da ? SchauspielerInnen und Schauplatz sind es ebenso wenig. Von ihnen erscheint lediglich eine Projektion. Daraus folgt, dass der Film nicht nur Imaginäres darstellt, sondern dass seine Darstellung selbst imaginär ist. Das schauende Subjekt setzt sich wissend über die Absenz des Signifikanten hinweg und macht dessen Widerschein auf der Leinwand zur audiovisuellen Erzählung. Daraus entspringt die Passion des technischen Sehens, denn in der Wahrnehmung der Abbilder erfährt sich der/die Schauende als konstitutives Subjekt, das das Filmgeschehen erst hervorbringt.
Dass die ZuschauerInnen im Kino sehen, was nicht da ist, bzw. imaginieren, was sie sehen, stellt sich als bestimmendes Merkmal dieses Mediums dar. Jedoch imaginieren sie nicht nur die Filmdarstellung sondern auch dasjenige, was nicht auf der Leinwand erscheint. Denn der Film erzählt in der Regel durch Auslassung, indem er lediglich zusammengefügte Ausschnitte zur Anschauung bringt. Die Kohärenz der Einstellungen und Montagen erlaubt den ZuschauerInnen, die Kontinuität von Raum und Zeit der Filmwelt zu imaginieren, die ihm nicht vor Augen geführt wird. Sie sehen daher auch das, was ihnen nicht gezeigt wird.
Wenn dies noch den in die Jahre gekommenen Konventionen des unsichtbaren Schnitts entspricht, so drängt sich die Spannung zwischen Bildentzug und Imagination längst in den Vordergrund. Denn der Film wird die Imagination der Erzählung durch die ZuschauerInnen nicht immer intakt lassen, vielleicht weil er sich ihr verweigert und ihnen gar noch dasjenige vorenthält, was sie zu imaginieren bereit sind. Dann wäre das filmische Imaginieren der ZuschauerInnen nicht mehr Grundlage der Bilder sondern ihr Gegenstand.


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