Practices of comparing. Ordering and changing the world
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D01 [B04]: Das Vergleichen im ethnographischen Denken der Antike - Die römische Zeit bis in die Spätantike (1. – 7. Jahrhundert n. Chr.)
Die erste Phase des Teilprojekts widmete sich der Praxis des ethnographischen Vergleichens der Griechen bis
ins
1. Jahrhundert n. Chr., aufgeteilt in drei epochale Blöcke (700 – 400 v. Chr.; Ende 4. bis Mitte
des
2. Jh. v. Chr.; 2. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.). Die zweite Phase wird die für die griechische
Ethnographie angewandten Fragestellungen zur Entwicklung und Funktion des Vergleichens auf Akteure innerhalb
des
Römischen Reiches vom 1. Jahrhundert n. Chr. bis in die christliche Spätantike und die
byzantinische
Zeit (7. Jh. n. Chr.) ausdehnen und weiterentwickeln. Dabei sind im Wesentlichen drei Veränderungen zu
berücksichtigen:
Erstens bildeten römische Schriftsteller und ihr Publikum als Mitglieder
einer mehrheitlich in Krieg und im Staatsdienst aktiven Elite eine neue community of practice, die
Modelle
und Vorbilder griechischer Ethnographie selektiv übernahm, diese aber ihren spezifischen Zielen und
Interessen anpasste. Anders als im griechischen Raum, wo verschiedene Poleis und (seit dem
Hellenismus) mehrere
Monarchien sowie deren heterogenes Publikum Ausgangspunkt und Ansprechpartner ethnographischer Texte
darstellten, bildeten für römische Akteure Rom und sein Imperium den Kristallisationspunkt ihrer
Weltsicht und schriftstellerischen Tätigkeit. Angesichts dieser Zentrierung auf das römische
Selbstverständnis gewannen der Bereich des Militärischen, des Kriegsethos und der (politischen)
Machtressourcen als ein von den Griechen (bis Polybios) eher vernachlässigtes tertium für
das
Vergleichen zwischen Rom und den fremden Ethnien, aber auch zwischen den fremden Ethnien selbst, auf
welche die römische Expansion traf, eine neue Bedeutung.
Zweitens entstand mit der politischen Integration des gesamten Mittelmeerraums unter
Augustus und der ideologischen Gleichsetzung
des Imperium Romanum mit dem zivilisierten orbis terrarum eine kompakte
Vergleichskonstellation zwischen
den ‚Reichsbewohnern‘ innerhalb und den ‚Barbaren‘ außerhalb des römischen
Weltreiches. Diesem wurde die tatsächlich sehr heterogene Außenwelt kontrastiv
gegenübergestellt: positiv durch die Idealisierung der ‚weisen‘ und / oder einfach lebenden
Fremdvölker des Ostens und des Nordens; negativ durch die Topoi: ‚barbarisch-tierische
Wildheit’ vs. römische ratio und disciplina etc. oder klimatisch bedingte
Verweichlichung vs.
römische virtus und bäuerliche Härte. Dazwischen changierten die
„Wunderwesen“ der
Weltränder, deren Exotik einen Gegenpart zur „Normalität“ der römischen
Oikumene bildete.
Drittens etablierte sich mit den Christen eine religiöse community of
practice,
die nach anfänglicher Verfolgung eine Selbstidentifizierung mit dem Imperium anstrebte und dessen
Vergleichsraum für ihre Zwecke zu nutzen suchte. Das Vergleichen im Kontext imperialer Ideologie
wurde in den Rahmen universeller Mission und christlicher Selbstrechtfertigung gerückt sowie von
vergangenen (paganen) Missständen abgesetzt. Damit ergab sich eine Vergleichskonstellation, die nicht
nur
für das Mittelalter, sondern auch für die Frühe Neuzeit richtungsgebend wirken und zum
Beispiel
die Diskussion um das Verhältnis zu den Indianern der ‚Neuen Welt‘ mitprägen sollte.
Diese
Themen sollen in der dritten Förderphase behandelt werden.
Wie sich vor diesem Hintergrund makropolitischer Veränderungen, die mit der Etablierung und dann (in
der Spätantike) mit der
machtpolitischen Reduzierung des xImperium Romanum sowie der Formierung neuer communities of
practice
verbunden waren, auch ethnographische Vergleichspraktiken auf der Mikro- und Mesoebene änderten und
ob diese Veränderungen ihrerseits nicht nur auf historischen Wandel reagierten, sondern diesen auch
vorantrieben, will das Teilprojekt in dieser zweiten Förderphase klären. Das Schwergewicht wird
dabei auf den Prosa-Texten römischer Historiker sowie christlichen Werken (Kirchengeschichte,
Heiligenviten) liegen, denen die bedeutendsten frühbyzantinischen Geschichtsschreiber vergleichend
gegenübergestellt werden.
D02: Vergleichende Verfahren – Präzedenzrecht im spätmittelalterlichen England
Das Projekt untersucht in zwei Teilstudien, wie im England des 13. Jahrhunderts implizites juristisches
Erfahrungswissen mithilfe von Vergleichspraktiken in die theoretische und praktische Bestimmung von Recht
überführt wurde. Die erste Teilstudie analysiert die Werke des königliches Richters Henry
Bracton (ca. 1210 – 1268) unter Heinrich III. Bractons sogenanntes „Notebook“
und sein Traktat „De legibus et consuetudinibus Angliae“, sowie die sogenannten yearbooks
entstanden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, unterscheiden sich aber fundamental in Aufbau und
Zielsetzung. Das „Notebook“ besteht aus einer Sammlung von 2000 Rechtsfällen aus der
juristischen Praxis, das Traktat versucht eine Synthese des mittelalterlichen englischen Rechts in Form
eines Gesetzeswerks nach dem Vorbild Kaiser Justinians (482 – 565). Bracton bediente sich
derselben Kategorien des römischen Rechts wie der spätantike Kaiser und versuchte, verschiedene
Sachverhalte nach dessen Muster zu kategorisieren. Gerade mit Blick auf die Fragen nach der Verdichtung oder
Verstetigung von Vergleichspraktiken in Praxisformationen ist das beschriebene Material vielversprechend: Im
Verhältnis von „Notebook“ und Gesetzestext lässt sich der Versuch eines
königlichen Richters beobachten, aus der Rechtspraxis eine theoretische Bestimmung des Rechts zu
extrahieren, die an Rechtspraktiken auf dem Kontinent und des kanonischen Rechts erinnert. Dieser Versuch
Bractons scheitert jedoch. Sein Versuch einer Rechtssynthese wird weniger rezipiert als das
praxisorientierte Notebook; letzteres gewinnt insbesondere bei der Ausbildung von Rechtsakteuren ab dem
späten 13. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert an Bedeutung. Die erste Teilstudie nimmt auf diese Weise
Vergleichspraktiken auf der Ebene der Rechtserzeugung in den Blick und untersucht, wie durch die
vergleichenden Verfahren der Präzedenz die Kategorisierung von Sachverhalten und damit die
Ausgestaltung des Common Law vorangebracht wird. Auch die zweite Teilstudie widmet sich Sammlungen
rechtspraktischer Schriften aus dem 13. Jahrhundert. Sie untersucht die juristische Wissensproduktion im
Rahmen von Vergleichspraktiken anhand der sogenannten yearbooks, informellen Berichten von Rechtsakteuren
über Fälle, die sie begleitet haben. Hier stehen die Akteure als community of practice im
Mittelpunkt, die durch ihre praktische Tätigkeit vor Gericht ebenfalls Recht erzeugen, wenn sie auf
verschiedene Präzedenzfälle zurückgreifen, die ihnen zur Verfügung stehen – unter
anderem durch Bractons „Notebook“. Ein weiterer Ort jenseits der Gerichte, an dem dieses Wissen
vermittelt wird sind die inns of court, jene Rechtsschulen außerhalb der Universitäten, an denen
Praktiker und Schüler gemeinsam studierten.
Die in diesem Teilprojekt analysierten Dokumente
zeigen die dominante Rolle von Vergleichspraktiken für die Überführung juristischen
Vergleichswissens in englisches Recht. Das für die Vergleichspraktiken im Rahmen des
Präzedenzrechts zentrale und notwendige Wissen hat – so die These – verschiedene
Dokumentationsformen hervorgebracht, die als Gedächtnis der Praxis funktionieren und ihre
Stabilität sicherstellen. Dazu gehört auch die Dokumentation der Fälle selbst in den court
rolls und den writs. Vergleichspraktiken sind somit ein entscheidender Bestandteil der mittelalterlichen
englischen Rechtspraxis und dominieren die Verfahren der Rechtsprechung und Rechtserzeugung. Der
Präzedenzlogik folgend werden Fälle vor Gericht mit bisherigen Fällen und Urteilen
verglichen, bevor im aktuellen Fall ein Urteil gefällt wird. Dieses Verfahren gelingt nur mit Hilfe
einer weitreichenden Dokumentation bereits vollzogener Gerichtsverfahren, die nahezu vollständig
überliefert ist. In diesem Verfahren zeigt sich die produktive Kraft des Vergleichens: Präzedenz
und Case Law sind die Grundlagen des Common Law und stabilisieren sich als solche im Lauf des 13. und 14.
Jahrhunderts.
Ziel des Projekts ist damit, das Common Law nicht im Rahmen einer
ideengeschichtlichen Erzählung zu untersuchen, wie es im Großteil der englischsprachigen Forschung
geschieht, sondern mit der Analyse der Praktiken juristischen Vergleichens die Funktion und die
Durchsetzungskraft des Case Law im englischen Spätmittelalter zu erklären.
D04[B03]: Weltvergleich und Weltwissen. Ethnographische (Reise-)Literatur und vergleichende Wissenschaften (1850 – 1950)
Das Teilprojekt untersuchte in der ersten Förderphase Vergleichspraktiken der Weltreiseliteratur vor
allem im späten 18. und im 19. Jahrhundert. In engem Zusammenhang mit den zeitgleich entstehenden
vergleichenden Wissenschaften bildete sich ein umfassendes Wissen über die Welt, das in der
Reiseliteratur vor allem im Bereich naturkundlicher und ethnographischer Vergleichsoperationen
aufgegriffen und transformiert wurde. Für diese historische Phase ließ sich einerseits die
Verfestigung der Vorstellung einer einheitlichen Welt- und Wissensordnung beobachten, andererseits erfolgte
parallel die Auflösung einer universalistischen Weltauffassung und führte zu Veränderungen in
den sich vervielfältigenden Praktiken des Vergleichens von fremden Kulturen, Ländern und
Völkern. Die zweite Förderphase wird die Fragestellungen des Teilprojekts erweitern,
indem
es den Blick von der Weltreiseliteratur des frühen 19. Jahrhunderts auf die weitere Entwicklung
und Institutionalisierung (ethnographischen) Weltwissens sowie auf die sich neu herausbildenden
Zusammenhänge von (Reise-)Literatur, vergleichenden Wis-senschaften und Ethnologie im späten 19.
und frühen 20. Jahrhundert richtet.
In einer ersten Teilstudie werden die Transformationen ethnographischer, reiseliterarischer und
naturkundlicher Praktiken in wissenschaftliche Denkformen und
communities of practice während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem im
deutschsprachigen Raum, verfolgt. Es handelt sich um Versuche, die Vielfalt der auf den Welt- und
Entdeckungsreisen zutage getretenen Ähnlichkeiten und Differenzen nicht-europäischer Welten
mithilfe einer erstmals auch als eigene Methode reflektierten Vergleichspraxis neu zu ordnen, zu bestimmen
und zu verstetigen. Das Forschungsvorhaben nimmt unterschiedliche ethnographische,
völkerpsychologische und philologische Vergleichsoperationen in den Blick, die in Reiseberichten,
wissenschaftlichen Abhandlungen und neu entstehenden Zeitschriften zirkulierten und sich zu
Vergleichsformationen fügten. In einer zweiten Teilstudie werden die Entwicklung und
Rezeption
des wissenschaftlichen Vergleichens in der französischen (Welt-) Reiseliteratur und der
Wissensdisziplin der Ethnologie zwischen 1900 und den 1950er Jahren untersucht. Ebenso wie in der
Anthropologie erfolgte in der Reiseliteratur eine gleichermaßen kritische wie auch affirmative
Auseinandersetzung mit der vor al-lem in Naturkunde, Biologie und Philologie entwickelten comparative
method. In Frankreich entstand insbesondere in den 1920er und 1930er Jahren ein enger Austausch
zwischen
akademischer Ethnologie und ethnographisch orientierter (Reise-)Literatur; statt der in Deutschland zu
beobachtenden Verstetigung oder Stabilisierung von Vergleichspraktiken rückt hier die
experimentelle Herstellung und kritische Erprobung der ‚Komparabilität‘
unterschiedlicher kultureller Phänomene in den Mittelpunkt. Die Teilstudie untersucht die
vergleichenden Konstruktionen (außer-)europäischer Welten im Wechselspiel von reiseliterarischen
Erzählpraktiken, ethnologischen Schreibprojekten und künstlerischen Avantgarden. Ziel des
gesamten Projekts ist es, die Funktion der höchst unterschiedlichen Praktiken und Dynamiken des
(ethnographischen) Vergleichens auf ihre Stabilisierung in Vergleichsformationen hin zu untersuchen und
deren Beitrag zu der Herausbildung einer spezifisch ‚europäischen Moderne‘ sichtbar zu
machen.
D05: Vergleichendes Lesen. Konstitution und Kritik der Stilistik als einer literatur-wissenschaftlichen Methode / Comparative reading. Constitution and critique of stylistics as a method of literary studies
English Version below
Wie vergleichen wir, wenn wir lesen? Und wie lesen wir, wenn wir vergleichen? Das im SFB 1288
„Praktiken des Vergleichens“ angesiedelte Teilprojekt „Vergleichendes Lesen. Konstitution
und Kritik der Stilistik als einer wissenschaftlichen Methode“ begreift ‚Lesen’ als eine
Praxis des Vergleichens und erforscht, wie sich Lektürepraktiken der Literaturwissenschaft vom 20. bis
zum 21. Jahrhundert verändert haben. Dreh- und Angelpunkt des Teilprojekts ist der Begriff des Stils:
Stil ist zum einen comparatum und Vergleichsobjekt literaturwissenschaftlicher Wissensproduktion; zum
anderen fungiert er als tertium comparationis in Vergleichen von literarischen Texten, Autoren,
Gattungen
und Epochen
Während Vergleichsgrößen der Stilistik des frühen 20. Jahrhunderts
wie der ‚Autor’ oder das ‚Werk’ in den Literaturtheorien des Strukturalismus und
Poststrukturalismus destabilisiert wurden, lässt sich in den vergangenen Jahren eine kritische
Reaffirmation derartiger Referenzkategorien von literaturwissenschaftlichen Stilvergleichen bemerken. Die
latenten Kontinuitäten in der Geschichte der Stilistik nimmt das Teilprojekt zum Anlass, um im Rahmen
zweier Teilstudien die Stilkritik des (Post-)Strukturalismus auf der einen und die Modifikationen von
Vergleichspraktiken im Feld der Digital Humanities auf der anderen Seite zu untersuchen. Birgt die
(post-)strukturalistische Stilkritik Impulse für eine kritische Revision der Stilistik heute? Wie
gestaltet sich vergleichendes Lesen unter den Bedingungen der Digitalisierung? Diese Fragen verfolgt das
Teilprojekt im Kontext des SFB 1288, der ein interdisziplinäres Umfeld bietet, um die Ursachen,
Verfahren und Wirkungen des Vergleichens zwischen Antike und Gegenwart gemeinsam zu diskutieren und zu
erforschen.
Comparative reading. Constitution and critique of stylistics as a method of literary studies
How do we compare when we read? And how do comparisons inform our ways
of reading? As part of the SFB 1288 „Practices of Comparing“, the project „Comparative
Reading. Stylistics as a Method of Literary Studies – Formation and Critique“, understands
‚reading’ as a practice of comparison. It investigates the ways in which modes of reading in the
study of literature have changed throughout the twentieth and twenty-first century. The project centers
around the notion of style which can act both as a comparatum, an object of comparison, in the
scientific
study of literature, and as a tertium comparationis structuring comparisons of literary texts,
authors,
genres and epochs.
While the common categories of stylistics in the early twentieth century –
like the ‚author’ or the ‚work’ – were unsettled in structuralist and
post-structuralist theories of literature, recent years have seen a reaffirmation, albeit critical, of such
basic notions of stylistic comparison. The project pursues the latent continuities in the history of
stylistics in two separate sub-projects which investigate the (post-)structuralist critique of stylistics on
the one hand and current modifications of practices of comparing in the Digital Humanities on the other.
Does the critique of style in (post-)structuralism hold potential for a critical revision of stylistics
today? How does digitization change ‚comparative reading’? These are the questions pursued in
the project and in the larger context of the SFB which offers an interdisciplinary environment to analyze
and discuss the causes, processes and effects of comparison between antiquity and the present.
F01 [A03]: The (White) World Upside Down! Changing Conceptions of Race During the Haitian Revolution (1791-1804)/ Le monde (blanc) à l'envers! Changement des conceptions de la race pendant la révolution haïtienne (1791-1804)
English version below / Version française ci-dessous
Ziel der ersten Teilstudie ist zu beleuchten, wie verschiedene communities of practice im Kontext der
Haitianischen Revolution die bereits bestehende Vergleichsformation ‚Rasse‘-Klima-Geschlecht in
neue Kontexte einbrachten und möglicherweise umdeuteten. Um 1791 begann in der reichsten
französischen Zuckerkolonie Saint Domingue die Haitianische Revolution mit einem großangelegten
Sklavenaufstand. Über die nächsten dreizehn Jahre löste sich die schwarze
Mehrheitsgesellschaft in mehreren gewaltsamen Revolten aus der Versklavung. Die Revolution wurde im Januar
und Februar 1804 mit dem Massaker an der verbleibenden weißen Bevölkerung der Insel und der
Krönung von Jean-Jacques Dessalines zum Kaiser der Insel abgeschlossen. Die systematische Ermordung der
weißen Bevölkerung geschah im Namen der Rache für die durch die Weißen erlittenen
Gräueltaten während Revolution und Sklaverei. Nach der Ausrufung der Unabhängigkeit erhielt
Saint Domingue seinen ursprünglichen, indigenen Namen Hayti zurück und wurde zur ersten
unabhängigen, von Schwarzen angeführten Nation der Karibik und neben den USA zu einer der ersten
Republiken weltweit. Für die ‚weiße‘ Welt außerhalb Haitis bedeutete die
Revolution eine Umkehrung der ‚natürlichen‘ Verhältnisse. Bis dahin war es für
Weiße unvorstellbar gewesen, dass Schwarze überhaupt die mentalen Fähigkeiten zur Planung
einer solch konzertierten, strategischen Aktion besitzen könnten. Diese noch immer
vor-biologistisch-rassistische Sichtweise auf die schwarze Bevölkerung basierte auf der zum ausgehenden
18. Jahrhundert sich bereits verfestigenden Vergleichsformation von ‚Rasse‘-Klima-Geschlecht,
die durch das Gelingen der Haitianischen Revolution in Frage gestellt und somit neu in Bewegung gebracht
wurde. Sowohl der weiße, abolitionistische, wie auch anti-abolitionistische Diskurs über die
Haitianische Revolution sind durch das intensivierte Interesse insbesondere der anglo-amerikanischen
Historiker*innen der letzten zwei Dekaden in Teilen aufgearbeitet worden . Untersuchungen zu den schwarzen
und freien farbigen Intellektuellen auf Haitianischer Seite begannen zwar schon 1938 mit C. L. R.
James‘ „Black Jacobins“, jedoch bemüht sich erst die jüngere,
‚schwarze‘ Ideengeschichte um eine intensivere Erforschung des Themas. Die Erforschung von
Vergleichsformationen und ihrer Veränderung im Kontext der Haitianischen Revolution führt zur
bisher wenig beachteten Frage, ob und wie es den schwarzen Aufständischen gelang,
‚weiße‘ Rassenklischees zu durchbrechen oder umzukehren. Gelang es Ihnen, ihr eigenes
Narrativ über sich selbst und die Entstehung der ersten ‚schwarzen Republik‘ der Welt zu
formulieren?
Die Teilstudie interessiert sich also für die Vergleichspraktiken der schwarzen Revolutionäre in
der Selbstbeschreibung einer neuen, schwarzen Republik, aber auch für jene der (weißen)
französischen Abolitionist*innen, allen voran die Société des Amis des Noirs, die –
teils in der Metropole Paris, teils in der Kolonie selbst – philosophisches Gedankengut zur
Legitimation der Abschaffung der Sklaverei und somit moralisch-rechtliche Unterstützung für die
Revolutionäre. In der Société vereinigten sich zum Teil bekannte Denker, wie Nicolas de
Condorcet und der Abbé Gregoire, die unterschiedliche Zeitschriften zur Publikation ihrer
fortschrittlichen Ideen nützten.
Die Selbstbefreiung der schwarzen Mehrheitsgesellschaft und die damit einhergehende Umkehrung des
hegemonialen Paradigmas ist historisch einmalig und daher für die Frage der Praktiken des Vergleichens
und die für die Vergleichsformation von ‚Rasse‘-Klima-Geschlecht im Rahmen des nation
building in der Karibik von besonderem Interesse.
The (White) World Upside Down! Changing Conceptions of Race During the Haitian Revolution (1791-1804)
The aim of this study is to examine how different Haitian ‘communities of practice’ (Wenger 2004) introduced (and possibly reinterpreted) the already existing comparative nexus ‘race -climate-gender’ in the context of the Haitian Revolution. Around 1791 the Haitian Revolution began in the richest French sugar colony Saint Domingue with a large-scale revolt of enslaved Africans. Over the next thirteen years, the majority-black society freed itself from slavery in several violent revolts. The revolution was concluded in January and February 1804 with the massacre of the remaining white population of the island and the coronation of Jean-Jacques Dessalines as Emperor of the island. The systematic murder of the white population was carried out in the name of revenge for the atrocities suffered at the hands of whites during the revolution and during slavery. After the proclamation of independence, Saint Domingue regained its original indigenous name Hayti and became the first independent, black-led nation in the Caribbean and one of the first republics in the world alongside the young USA. For the 'white' world outside Haiti, the revolution meant a reversal of what it saw as 'natural' conditions. Until then, it had been inconceivable to whites that Africans could even have the mental capacity to plan such a concerted, strategic action. This still pre-biological and racist view of the black population was based on the comparative nexus of race, climate, and gender, which had already become established by the end of the 18th century and which was challenged and thus set in motion again by the success of the Haitian Revolution. Both the white, abolitionist and anti-abolitionist discourses on the Haitian Revolution has been partially reappraised by the intensified interest of Anglo-American historians in particular over the last two decades. Although research on black and free colored intellectuals on the Haitian side began as early as 1938 with C.L.R. James' "Black Jacobins", it is only the more recent 'black' history of ideas that is making an effort to explore the topic more intensively. Research on comparative nexuses and their transformation in the context of the Haitian Revolution leads to the so far under-researched question of whether and how the black insurgents succeeded in breaking or reversing white racial clichés. Did they succeed in formulating their own narrative about themselves and the creation of the world's first black republic? The study is thus interested in the comparative practices of black revolutionaries in the self-description of a new black republic, but also in those of (white) French abolitionists, especially the Société des Amis des Noirs, which - partly in the metropolis of Paris, partly in the colony itself - provided philosophical ideas to legitimize the abolition of slavery and thus moral and legal support for the revolutionaries. The Société brought together some well-known thinkers, such as Nicolas de Condorcet and Abbé Gregoire, who used different journals to publish their progressive ideas. The self-liberation of the black majority society and the resulting reversal of the hegemonial (white) paradigm is historically unique and therefore of particular interest for the question of practices of comparing and for the comparative nexus of race-climate-gender in the context of eighteenth and nineteenth-century nation building in the Caribbean.
Le monde (blanc) à l'envers ! Changement des conceptions de la race pendant la révolution haïtienne (1791-1804)
L'objectif de cette étude est de mettre en lumière la manière dont différentes communautés de pratique (communities of practice) dans le contexte de la révolution haïtienne ont introduit, et peut-être réinterprété, le nexus comparatif déjà existant de race - climat - genre dans de nouveaux contextes. Vers 1791, la révolution haïtienne a commencé dans la plus riche colonie sucrière française, Saint-Domingue, par une révolte d'esclaves à grande échelle. Au cours des treize années suivantes, la société majoritaire noire s'est libérée de l'esclavage lors de plusieurs révoltes violentes. La révolution se conclut en janvier et février 1804 avec le massacre de la population blanche restante de l'île et le couronnement de Jean-Jacques Dessalines comme empereur de l'île. Le meurtre systématique de la population blanche a été perpétré au nom de la vengeance des atrocités subies par les Blancs pendant la révolution et l'esclavage. Après la proclamation de l'indépendance, Saint-Domingue retrouvait son nom autochtone d'origine, Haïti, et devenait la première nation indépendante dirigée par des Noirs dans les Caraïbes et l'une des premières républiques du monde aux côtés des jeunes États-Unis. Pour le monde "blanc" en dehors d'Haïti, la révolution signifiait un renversement des conditions perçue comme "naturelles". Jusqu'alors, il était inconcevable pour les colonisateurs blancs que les Africains puissent même avoir la capacité mentale de planifier une telle action stratégique et concertée. Cette vision encore pré-biologiste-raciste de la population noire était basée sur le nexus comparatif de la race et du climat, qui était déjà bien ancrée à la fin du 18e siècle, et qui a été remise en question et donc relancée par le succès de la révolution haïtienne. Le discours blanc, abolitionniste et anti-abolitionniste sur la révolution haïtienne a été partiellement réévalué par l'intérêt accru des historiens anglo-américains en particulier au cours des deux dernières décennies. Les études sur les intellectuels noirs et de couleur libres du côté haïtien ont commencé dès 1938 avec les "Jacobins noirs" de C. L. R. James, mais c'est seulement l'histoire "noire" plus récente des idées qui tente d'explorer le sujet de manière plus intensive. La recherche sur les nexus comparatifs et leurs transformations dans le contexte de la révolution haïtienne conduit à la question si et comment les insurgés noirs ont réussi à briser ou à renverser les clichés raciaux blancs. Ont-ils réussi à formuler leur propre narration sur eux-mêmes et sur l'émergence de la première réplique noire du monde? L'étude s'intéresse donc aux pratiques comparatives des révolutionnaires noirs dans la déclaration d'une nouvelle république noire, mais aussi à celles des abolitionnistes français (blancs), en particulier la Société des Amis des Noirs, qui - en partie dans la métropole parisienne, en partie dans la colonie elle-même - a fourni des idées philosophiques pour légitimer l'abolition de l'esclavage et donc un soutien moral et juridique aux révolutionnaires. La Société a rassemblé des philosophes connus, comme Nicolas de Condorcet et l'abbé Grégoire, qui ont utilisé différentes revues pour publier leurs idées progressistes. L'auto-libération de la société majoritaire noire et le renversement du paradigme hégémonique blanc qui en résulte sont historiquement uniques et donc d'un intérêt particulier pour la question des pratiques comparatives et du nexus comparatif de la race et du climat dans le contexte de la construction de la nation dans les Caraïbes aux XVIIIe et XIXe siècle.
F02: „Nullmeridian der Literatur“? Der Literaturnobelpreis als globaler Vergleichsmaßstab/ “Greenwich Meridian of Literature”? The Nobel Prize as a Global Standard of Comparison.
English Version below
Der erstmals 1901 verliehene Nobelpreis für Literatur ist der weltweit bekannteste Literaturpreis. Er
ist nicht nur ein Indikator für die Existenz eines literarischen Feldes von globalem Ausmaß,
sondern hat zugleich – so die Leithypothese – wesentlich dazu beigetragen, dieses Feld
überhaupt erst zu konstituieren, zu verstetigen und zu strukturieren. Das Teilprojekt ist an der
Schnittstelle von Literaturgeschichtsschreibung (im Sinne einer literaturhistoriographischen Aufarbeitung
von ‚Weltliteratur‘ bzw. globaler Literatur), literatur- und sozialwissenschaftlicher
Kulturpreisforschung und kulturwissenschaftlicher Vergleichsforschung situiert. Es widmet sich der
Rekonstruktion des Literaturnobelpreises als einer Institution, die eine Reihe von heterogenen, in der Regel
normativen kulturellen Praktiken zu Praxisformationen bündelt und in communities of practice
organisiert, um derart die Vorstellung einer globalen Vergleichbarkeit im Bereich der Literatur wirksam
werden zu lassen.
Der Literaturnobelpreis muss in diesem Sinne als eine der maßgeblichen Instanzen der Globalisierung von
Literatur verstanden werden: Durch ihn konstituiert sich schon früh ein breites sprach- und
nationenübergreifendes Aufmerksamkeits- und Aktivitätsfeld für Literatur. Der Preis kann als
eine komplexe, serielle und reflexive Vergleichspraxis rekonstruiert werden, die stark divergierende
literarische Ereignisse und Erzeugnisse überhaupt erst vergleichbar macht. Mit dem Literaturnobelpreis
etabliert sich die Vorstellung, dass Autor*innen und Werke, die in sehr unterschiedlichen regionalen,
politischen, sozialen und kulturellen Kontexten situiert sind, gleichwohl vergleichend bewertet werden
können. Damit wird er zu einer Institution globaler vergleichender Bewertung, die sich von den
regionalen, politischen, sozialen und kulturellen Kontexten abkoppelt und ‚universelle‘
Vergleichsmaßstäbe propagiert.
Durch diese Perspektive verbinden sich einzelne archivbasierte Fallstudien mit der übergreifenden Frage
nach der Globalität und Globalisierung des Literaturfeldes. Das Teilprojekt gliedert sich in zwei
archivbasierte Teilstudien, neben einer dritten, theoretisch ausgerichteten Teilstudie der beiden
Projektleiter:
1. Teilstudie: Vergleichsformationen in der Schwedischen Akademie, 1895 bis ca. 1930 (ausgeschrieben)
2. Teilstudie: Vergleichsformationen im deutschen Literaturverlag nach 1945 (ausgeschrieben)
3. Teilstudie: Globale Vergleichspraktiken im internationalen Preiswesen (Projektleiter)
“Greenwich Meridian of Literature”? The Nobel Prize as a Global Standard of Comparison
Prof. Dr. Carlos Spoerhase and Dr. Jørgen Sneis
The Nobel Prize in Literature was first awarded in 1901 and is the most widely known literary award
worldwide.
It not only points to the existence of a global literary field, but has indeed played a major role in
constituting, stabilizing and structuring this field in the first place. Our project is situated at the
interface between literary history and the historiography of “world literature”, the
sociologically
oriented study of cultural prizes, and recent scholarship on the practices of comparing. It reconstructs the
Nobel Prize in Literature as an institution which bundles a number of different, usually normative, cultural
practices into practice formations and organizes them in communities of practice, thus facilitating the idea
of
global comparability in the realm of literature.
The Nobel Prize has to be considered a major force in globalizing literature, connecting areas of literary
activity and interest across languages, cultures, and nations. It can be seen as a complex, serial, and
reflexive practice of comparing which makes diverging literary works comparable. The Nobel Prize in
Literature
suggests that authors and works situated in very different political, social, and cultural contexts can
still be
compared and evaluated on the same scale. This award has thus become an institution of global comparison and
comparative evaluation which promotes “universal” standards of comparison. The scope of the
project
allows us to couple individual archive-based case studies with the overarching question of the globalization
of
the literary field.
The project F02 as a whole is divided into two individual archive-based projects, in addition to a third,
theoretically oriented project by the two principal investigators:
1. Formations of Comparison in the Swedish Academy, 1895 to ca. 1930 (job offer)
2. Formations of Comparison in the German Literary Publishing Industry after 1945 (job offer)
3. International Awards, Global Practices of Comparing (Jørgen Sneis and Carlos Spoerhase)
F04 [B07]: Global investieren, lokal vergleichen? Nationalisierung und Internationalisierung von Standards der Immobilienbewertung seit den 1970er Jahren
Das Projekt erforscht die Entstehung, die Implementierung und die Auswirkungen von Standards der
Immobilienbewertung in Großbritannien und der BRD zwischen 1970 und ca. 1995. Damit unternimmt es
eine chronologische Fortschreibung der in der ersten Förderphase begonnenen Analyse des
Verhältnisses von Vergleichen und ökonomischem Bewerten. Vornehmlich bezieht es sich nun auf
Debatten, die innerhalb einschlägiger communities of practice über die Angemessenheit
unterschiedlicher Arten von Vergleichspraktiken und ihre Standardisierung geführt worden sind,
statt Praktiken des Vergleichens und Bewertens individueller Objekte zu analysieren.
In theoretischer Hinsicht erörtert das Teilprojekt damit die Frage nach dem Zusammenhang zwischen
Vergleichen und Standardisieren. In empirischer Hinsicht untersucht es zu diesem Zweck die Debatten
über Bewertungsstandards für Immobilien in Großbritannien (Teilstudie 1) und der
Bundesrepublik Deutschland (Teilstudie 2) in ihrem internationalen Kontext. Dabei gehen wir im Projekt
erstens davon aus, dass in beiden Ländern seit den 1970er Jahren Diskussionen über
Standards der
Immobilienbewertung entstanden sind, die in engem Zusammenhang mit Veränderungen der Marktsituation,
mit Liberalisierungstendenzen und mit der Öffnung des Immobiliensektors für den internationalen
Kapitalverkehr standen. Zweitens liegt dem Projekt die Vermutung zugrunde, dass die konkreten
Auswirkungen
dieser Faktoren in Großbritannien und der BRD sehr unterschiedlich waren. Die Standardisierung von
Vergleichspraktiken wurde nämlich von unterschiedlichen communities of practice betrieben und
brachte
so trotz ähnlicher Absichten verschiedenartige Ergebnisse hervor. Aus diesen Unterschieden ergaben sich
drittens unmittelbare Rückwirkungen auf die im Rahmen von Bewertungen vollzogenen
Vergleiche, die
erhebliche Konsequenzen für die Markttransparenz und die Volatilität des Immobiliensektors in den
beiden Ländern hatten.
Die Bedeutung des Vergleichens von Vergleichspraktiken für Standardisierungsprozesse und für damit
verbundene, neuartige Differenzierungen ist somit das zentrale Thema der zweiten Förderphase.
Darüber hinaus soll das Projekt das Problem der Immobilienbewertung systematisch in den breiteren
Kontext der Liberalisierung und Internationalisierung von Finanzmärkten seit den 1970er Jahren
einordnen. Es dient somit auch dazu, die Tauglichkeit des Konzepts der Vergleichspraktiken für die
Analyse dieser Entwicklung zu erkunden.
F05[A01]: Machtvergleiche in Zeiten weltpolitischen Wandels, 1970 – 2020
Mit Streitkräftevergleichen untersuchte das Projekt in der ersten Förderphase eine spezifische
Form von Machtvergleichen. Für die zweite Förderphase wird die Untersuchungsperspektive auf die
Konkurrenz und Kombination verschiedener Formen von Machtvergleichen ausgeweitet, deren Entwicklung von den
1970er Jahren bis heute rekonstruiert werden soll. Am Beispiel der transatlantischen Staatengemeinschaft
setzt es sich mit der Frage auseinander, inwieweit und auf welche Weise die Entwicklung von
Vergleichspraktiken durch trans- und internationale communities of practice geprägt ist. Seit
den
1970er Jahren findet innerhalb der transatlantischen Gemeinschaft eine verstärkte Debatte über
multidimensionale Machtverteilungen und die Bedeutung einzelner Machtformen wie etwa politischer,
militärischer und ökonomischer Macht statt. Diese Debatte brachte verschiedene Narrative –
etwa über eine neue multipolare Weltwirtschaftsordnung oder den Auf- und Abstieg einzelner Staaten
– hervor, die Machtveränderungen als Teil breiterer weltpolitischer Wandlungsprozesse deuten.
Mittels solcher Narrative beeinflussen Vergleichspraktiken Politikentwürfe und
Weltordnungsvorstellungen und prägen dadurch den Verlauf der Wandlungsprozesse.
Vier Leitfragen strukturieren die Bearbeitung dieser Fragestellung:
(1) Durch wen und auf welche Weise wurden Machtvergleiche im Untersuchungszeitraum praktiziert?
(2) Inwieweit bestand eine transatlantische community of practice mit geteilten Repertoires und
Problematiken von Machtvergleichen und durch welche Praktiken und Prozesse wurde diese
(re)produziert?
(3) Auf welche Weise wurden mittels Praktiken des Machtvergleichs welche Veränderungen in politischen
und sozialen Umwelten als relevante Trends in der Entwicklung der Machtverteilung markiert?
(4) Inwieweit und auf welche Weise trug die transatlantische community of practice zu ähnlichen
–
oder sogar koordinierten – Reaktionen der Staaten auf weltpolitische Wandlungsprozesse bei?
Die Bearbeitung der vier Leitfragen erfolgt über eine Kombination aus zwei Längsschnitts-Studien
mit zwei Fallstudien über Machtvergleiche im Kontext internationaler Institutionen. Die beiden
Längsschnitts-Studien rekonstruieren die Entwicklung von Diskursen über internationale
Machtveränderungen und -verteilungen in zwei nordamerikanischen (USA und Kanada) und zwei
westeuropäischen Staaten (Deutschland und Großbritannien) zwischen 1970 und 2020. Die zwei
Fallstudien ergänzen die beiden Längsschnitts-Studien durch eine Untersuchung, wie im Rahmen
internationaler Institutionen geteilte Praktiken des Machtvergleichs entstehen. Dies soll zum einen am
Beispiel der Gründung der G7 Mitte der 1970er Jahre sowie der teilweisen Ablösung der G7/G8 durch
die G20 in den späten 1990er sowie 2000er Jahren, zum anderen am Beispiel der außenpolitischen
Aktivitäten der Europäischen Union (EU) seit den 1990ern untersucht werden. Ziel des Teilprojekts
ist es, über die Kombination dieser vier Teilstudien erstmals eine umfassende Rekonstruktion
vorzulegen, wie sich geteilte Praktiken des Machtvergleichs über eine community of practice
herausbilden, wandeln und politikprägende Wirkungen entfalten.
INF: Dateninfrastruktur und Digital Humanities: Digitale Praktiken in den Geisteswissenschaften
Aufbauend auf der in der ersten Förderphase etablierten Struktur, wird die Arbeit im Teilprojekt INF
weiterhin auf zwei Säulen ruhen: Dateninfrastruktur und Digital Humanities (DH). Somit setzt INF auch
in der zweiten Förderphase die Arbeit an zentralen Dienstleistungsaufgaben im Bereich der
Infrastrukturentwicklung und des Datenmanagements für den Gesamtverbund fort und stellt durch die
Begleitung der Standardkonformen Datendokumentation die nachhaltige Bereitstellung und
Langzeitverfügbarkeit der im gesamten SFB generierten Daten sicher. Im Bereich der Digital
Humanities
hat INF in der ersten Förderphase insbesondere die Methodenreflexion und -entwicklung in den
Teilprojekten vorangebracht und wird dies auch weiterhin tun.
Um den qualitätsbewussten Umgang mit den im SFB generierten und genutzten Daten zu
gewährleisten,
entwickelt INF im Bereich der Dateninfrastruktur die bereits existierenden zentralen Plattformen des
SFB 1288 (eine Dienstplattform und eine Datenpublikationsplattform), die für die Verfügbarmachung
aller Quellen, Daten-relevanten Operationen und DH-tools konzipiert wurden, kontinuierlich
weiter und
passt sie den spezifischen Anforderungen der Teilprojekte an.
Um diese Qualitätssicherung auf Projektebene zu verankern, werden – im Rahmen der
Daten-basierten
Modellierung von Forschungsfragen – gemeinsam mit den Teilprojekten digitale Methoden und
tools
evaluiert und auf ihre Nutzbarkeit für die Fragestellungen des Verbunds geprüft. Als Erweiterung
des tool-Portfolios werden beispielsweise neue Methoden der Texterkennung unter
Berücksichtigung
neuer Sprachmodelle und des machine learning erprobt und workflows zur Annotation und
Beschreibung von
geisteswissenschaftlichen Daten, Arbeitsprozessen und (Zwischen-)Schritten etabliert. Darauf aufbauend wird
es zudem um die Etablierung von Standards im Bereich von open science und der Konzipierung und
Umsetzung von
neuartigen Publikationsparadigmen, den sogenannten data stories, für geisteswissenschaftliche
Forschungsdaten gehen. Somit wird sich INF verstärkt auf die Präsentation der im SFB erzeugten
Daten konzentrieren. Die Arbeit aus der ersten Förderphase hat gezeigt, dass es für die
Entwicklung digitaler Forschungsmethoden und zur Präsentation ihrer Ergebnisse notwendig ist, dass
neben den Forschungsdaten selbst auch die Analysewerkzeuge und Verarbeitungsschritte, die zur Auswertung und
Interpretation der Daten benötigt wurden, publiziert und verfügbar gemacht werden. Deshalb werden
in der zweiten Förderphase die in den Teilprojekten genutzten Komponenten und Ressourcen (Quellen,
Daten, tools, Analysewerkzeuge) in einer zentralen Umgebung gebündelt und mit einer
Präsentationsschicht den Forschenden und den fachlichen communities über open
science Angebote zur
Verfügung stehen.
INF hat in der ersten Förderphase im Rahmen der INFØthek, einem Austauschformat zur
Etablierung
von Wegen kontinuierlicher Zusammenarbeit und Kommunikation durch die Querschnittprojekte des SFB, mit allen
Teilprojekten des Verbunds kooperiert und darüber hinaus in zwei Projektphasen mit der Hälfte der
Teilprojekte intensiv zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit beinhaltete die (Retro-)Digitalisierung von
Textkorpora und deren Auszeichnung mit Informationen zur Textstruktur. In der zweiten Förderphase
rücken nun neben der kritischen Selbstreflexion auch digitale Vergleichspraktiken selbst in den Blick.
Auf den Beobachtungen aufbauend, die bei der Anwendung digitaler Methoden gemacht wurden, soll die
Analyse digitaler Praktiken in den Geisteswissenschaften im Zentrum der Beschäftigung mit den
Digital Humanities stehen. Damit setzt INF seinen wesentlichen Beitrag zur Synthesearbeit
fort.
Ö: Making of: Communities of Practice. Geisteswissenschaften und Gesellschaft in Relation
Mit dem Titel „Making of: Communities of Practice“ stellt das Teilprojekt Ö die politische
und soziale Gebundenheit von Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation ins Zentrum der Projektarbeit. Der
SFB 1288 geht davon aus, dass Praktiken des Vergleichens im öffentlichen Leben und in sozialer
Kommunikation ein hohes Maß an Bedeutung zukommt. Gleiches gilt für die Wissenschaft als Formation
unterschiedlicher communities of practice, die zugleich als Teil der Gesellschaft agieren und sich zu
ihr in
ein Verhältnis setzen. In welchen Beziehungen Wissenschaft dabei zur Gesellschaft steht, wie sie
sich zu einzelnen gesellschaftlichen Formierungen positioniert und von diesen wahrgenommen wird,
unterliegt sozialem Wandel und wird immer wieder neu verhandelt. Das Teilprojekt Ö zielt darauf ab,
dieses Aushandeln des Verhältnisses von Geisteswissenschaften und Gesellschaft sowohl zu
reflektieren als auch aktiv mitzugestalten.
In der ersten Förderphase standen die öffentliche Präsentation des
Sonderforschungsbereichs
und die Reflexion seines Tuns im Mittelpunkt dieses Vorhabens. Drei Schwerpunkte wurden dazu gesetzt:
Erstens die Kooperation mit der städtischen und regionalen Öffentlichkeit, zweitens
die
Kooperation mit Schulen in Form eines Schüler*innenlabors und drittens das „Making of
Public Science“ als Reflexion der eigenen Praktiken der Vermittlung und
Wissenschaftskommunikation. In der zweiten Förderphase geht der SFB der Frage nach, in welcher
Weise Praktiken des Vergleichens bei der Formierung sozialer Strukturen wirken. Das Teilprojekt Ö wird
in der zweiten Förderphase die Interaktion verschiedener Akteure bei der Formierung von communities
of
practice in unterschiedlichen Räumen anregen und die dabei wirksamen Praktiken des Vergleichens
in der Wissenschaftskommunikation untersuchen. Ein Ziel des Teilprojekts ist es, Geisteswissenschaften
und (nicht-akademische) Öffentlichkeiten aktiv zueinander in Beziehung zu setzen, indem es
Räume für deren Begegnung schafft und zur Selbstreflexion anleitet.
Zu diesem Zweck werden Räume bespielt, die in besonderer Weise fluide sind und jenseits der
vermeintlich fixierten Zugehörigkeit bestimmter Öffentlichkeiten liegen: Tatsächliche
und virtuelle Räume, die Aushandlungen provozieren, binäre Strukturen erodieren und Transfer
anregen. In diesen Transferräumen – die weder spezifisch akademisch noch nicht-akademisch
sind – sollen Wissenschaftler*innen des SFB und verschiedene Öffentlichkeiten aufeinandertreffen
und ihr Verhältnis (neu) verhandeln: Abgrenzungen werden ausgelotet, stereotype Trennungen verlieren
ihre Wirksamkeit, neue Verbindungen werden geknüpft. Dadurch werden diese Räume jenseits der
eigenen Komfortzonen in besonderer Weise zu Räumen des Inbezugsetzens und Vergleichens.
Exemplarisch werden diese Vergleichspraktiken in vier verschiedenen Transferräumen initiiert:
(1) Bielefelder StadtBahn: By chance – Stadt trifft Wissenschaft
(2) Marta Herford: Ausstellung „Skulptur in Relation“ (Arbeitstitel)
(3) Social Media: Blog, YouTube und Twitter
(4) Schüler*innenlabor Geisteswissenschaften
Die so angeregten Begegnungen lassen sich mit dem Modell der Didaktischen Rekonstruktion beschreiben, das
Wissenstransfer nicht als bloße Präsentation reduzierter Inhalte begreift, sondern
grundsätzlich als (Neu-)Formierung in einem Aushandlungsprozess beteiligter Akteure. Das
Teilprojekt Ö initiiert Praktiken des Vergleichens, die solchen Aushandlungsprozessen zugrunde liegen.
Da das Modell der Didaktischen Rekonstruktion in besonderer Weise in schulischen Zusammenhängen
etabliert ist, hat das Schüler*innenlabor einen genuin forschungsorientierten Stellenwert. An diesem
außerschulischen Lernort begegnen sich Lernende und Lehrpersonen und Wissenschaftler*innen, sie
müssen sich aufeinander einlassen und zueinander in Beziehung setzen. Interessen werden in explorativer
Weise verglichen und ausgehandelt, da die gewohnte Distanz zwischen beiden Akteuren in größerer
Fluidität aufgeht. In einer von der Mitarbeiter*in Monographie wird dieser Transferraum –
exemplarisch für andere – didaktischer Grundlegung, empirischer Dokumentation und
methodologischer Reflexion zugeführt.
In einem abschließenden Schritt werden die Aktivitäten des Teilprojekts Ö in den genannten
Transferräumen verbunden mit der Analyse der dort initiierten Wissenschaftskommunikation. In einer
Changing Academy mit unterschiedlichen und wechselnden Akteuren der Wissenschaftskommunikation und
Public
Science wird das Wirken dieser Praktiken evaluiert. Die Academy wird in der Bielefelder
WissensWerkStadt
angesiedelt sein, die ein experimenteller Raum im Transfer zwischen Universität und Stadt sein wird.
Herauszufinden, welche Möglichkeiten wirksame und nachhaltige Wissenschaftskommunikation hat und
haben kann, insbesondere in Hinblick auf die implizit wirksamen Praktiken des Vergleichens, ist das Ziel des
Projekts. Auf einer digitalen Plattform werden diese freigelegten Möglichkeiten, das
Verhältnis zwischen Geisteswissenschaften und verschiedenen Öffentlichkeiten konstruktiv zu
gestalten, festgehalten und öffentlich zugänglich sowie nutzbar gemacht.