ZiF-Arbeitsgemeinschaft
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Rechtspopulismus und Geschlecht



Termin: 22. - 24. November
Leitung: Gabriele Dietze (Hanover, USA), Julia Roth (Bielefeld, GER), Andrea Maihofer (Basel, SUI), Birgit Sauer (Wien, AUT), Tomke König (Bielefeld, GER)

Der Workshop brachte erstmals Forschende zusammen, die sich mit unterschiedlichen europäischen Rechtspopulismen und ihrer Beziehung zu Geschlecht/Gender und den daraus entstehenden Paradoxien beschäftigen. Ein solches Paradox ist, dass im Selbstverständnis und in der Programmatik populistischer Parteien traditionelle Geschlechterordnungen und die heteronormative Kleinfamilie eine große Rolle spielen, was derzeit durch eine Welle von so genannten Anti-Genderismus-Kampagnen verstärkt wird. Kontrastierend dazu ist eine Art von ›sexuellem Nationalismus- oder Exzeptionalismus‹ auszumachen, der ein anti-muslimisches Ressentiment pflegt, das auf einer angenommenen sexuellen Rückständigkeit muslimischer Eingewanderter und Geflüchteter basiert und eine angeblich vollendete sexuelle Emanzipation der ›einheimischen Bevölkerung‹ dagegen setzt.

Ein weiteres Paradox stellen die Gender-Gaps im Wahlverhalten dar, bei denen gesamteuropäisch etwa 10% weniger Frauen als Männer rechtspopulistische Parteien wählen bei gleichzeitig zunehmender Tendenz, weibliche Frontfrauen sichtbar zu machen. Auffällig an den rechtspopulistischen aktuellen Diskursen ist, wie stark sie über Gender-Themen polarisieren und Zustimmung gewinnen. Geschlechter- und Sexual-Politiken scheinen eine epistemologische Arena für die Sortierung und Hierarchisierung von Widersprüchen und eine Art ›Metasprache‹ zur Verfügung zu stellen, mittels derer gesellschaftliche Debatten um Demographie, Ethnizität, Transferleistungen und Migrationsabwehr affektpolitisch in öffentliche Diskussionen katapultiert werden können.

Da in all diesen Fragen noch viele Forschungslücken auszumachen sind, die bisher lediglich einzelne Forscher_innen aus unterschiedlichen Feldern und Disziplinen zu schließen suchen, war es Ziel des Workshops, einige der prominentesten Stimmen zu sammeln, um Kommunikation in einem neu entstehenden und gesellschaftlich wie politisch hoch relevanten Forschungsfeld zu verstärken.

Die renommierte Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer (Wien) beleuchtete in ihrer Keynote die Beziehung zwischen Right-Wing Populism (RWP) und Neoliberalismus und betonte das Potenzial der Kategorie Gender für die Analyse von RWP. Agnieszka Graff (Warschau) sprach über den erfolgreichen feministischen Widerstand gegen die Abtreibungspolitik der polnischen PIS. Mojka Panjik (Slowenien) untersuchte wie ein bestehendes ›Medien-Patriarchat‹ neue Allianzen mit RWP eingeht. Paula Diehl (Bielefeld) betonte die strukturellen Ähnlichkeiten von RWP-Logiken und den Aufmerksamkeitslogiken spätmoderner Massenmedien. Als wichtiger Bestandteil des Workshops traten Sozialwissenschaften in eine Konversation über Analysen zeitgenössischer Filme (Anja Michaelsen, Berlin) und You-Tuber (Simon Strick, Berlin). Neben einer qualitativen Analyse der Ansichten der österreichischen FPÖ (Stefanie Maier, Wien) und einer quantitativen Ergebung des Wahlverhaltens homosexueller holländischer Männer (Nils Spierings, Nijmegen) zeigte die empirische anthropologische Studie von Patrick Wielowiesky (Berlin), wie Homosexualität und RWP seltsame Allianzen eingehen können. Ebenso interessant wie erklärungsbedürftig ist die Existenz weiblicher Führungsfiguren in RWP-Parteien, wie Birte Siim (Aalborg) für den skandinavischen und Jasmin Siri (München) für den deutschen Kontext darlegten.


Im Rahmen einer Podiumsdiskussion diskutierten Künstlerinnen, Expertinnen und Aktivistinnen (Shermin Langhoff / Gorki Theater Berlin, Hengameh Yaghoobinafarah / Missy Magazin Berlin, Katharina Pühl / Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, Nanna Heidenreich / Film-Kuratorin Köln) mögliche kreative, mediale und diskursive Gegenstrategien zum rechtspopulistischen Trend. Die Ausstellung und Performance zu feministischem Widerstand in Nicaragua, die den Workshop begleitete, stellte ein Beispiel dafür dar.

Da die bisherige etablierte Populismusforschung die Geschlechterfrage und die daraus entwickelten sexualpolitischen Strategien weder systematisch gesetzt hat noch ihren Erkenntniswert als Meta-Allegorie für die unterschiedlichsten Bewegungen erkannt hat, hat der Workshop einen Dialog eröffnet und somit einen ersten Schritt geleistet, der das Forschungsfeld nicht nur bereichern wird, sondern innovative Parameter zu einer Neubewertung des Phänomens beitragen kann, welche in zukünftigen und angedachten Forschungsprojekten vertieft werden können.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Ursula Birsl (Marburg, GER), Paula Diehl (Bielefeld, GER), Anna Efremova (Bielefeld, GER), Nina Elena Eggers (Hamburg, GER), Luisa Raquel Ellermeier (Bielefeld, GER), Angelika Epple (Bielefeld, GER), Walter Erhart (Bielefeld, GER), Cornelia Giebeler (Bielefeld, GER), Agnieszka Graff (Warszawa, POL), Vivian Gramley (Bielefeld, GER), Elahe Haschemi Yekani (Berlin, GER), Nanna Heidenreich (Käln, GER), Alissa Herbaly Coons (Sydney, AUS), Sonia Javaidova (Bielefeld, GER), Kaja Kroes (Bielefeld, GER), Shermin Langhoff (Berlin, GER), Verena Limper (Münster, GER), Davlatbegim Mamadshoeva (Bielefeld, GER), Heike Mauer (Essen, GER), Stefanie Mayer (Wien, AUT), Beatrice Michaelis (Rostock, GER), Anja Michaelsen (Berlin, GER), Marion Näser-Lather (Marburg, GER), Ov Cristian Norocel (Bruxelles, BEL), Edith Otero Quezada (Bielefeld, GER), Mojca Pajnik (Ljubljana, SLO), Holly Patch (Bielefeld, GER), Katharina Pühl (Berlin, GER), Wilfried Raussert (Bielefeld, GER), Susanne Richter (Basel, SUI), Alexandra Scheele (Bielefeld, GER), Verònica Schild (London, CAN), Imke Schmincke (München, GER), Birte Siim (Copenhagen, DEN), Jasmin Siri (München, GER), C.H.B.M. Niels Spierings (Nijmegen, NED), Simon Strick (Berlin, GER), Oleksandra Tarkhanova (Bielefeld, GER), Nina Carina Timmermann (Bielefeld, GER), Karin Werner (Bielefeld, GER), Patrick Wielowiejski (Berlin, GER), Heidemarie Winkel (Bielefeld, GER), Hengameh Yaghoobifarah (Berlin, GER)

Organisatorische Fragen beantwortet Marina Hoffmann im Tagungsbüro. Bei inhaltlichen Fragen wenden Sie sich bitte direkt an die Veranstaltungsleitung.


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