Stefanie Schwedler
Prof. Dr. Stefanie Schwedler
Didaktik der Chemie
Analyse des Studienstarts in Chemie: Stresserleben und meaningful learning
Stresserleben und Überforderungsursachen
Das Gelingen des Studienstarts hängt von einem komplexen Wechselspiel individueller, sozialer, lehrorganisatorischer und anderer Faktoren ab (Bornkessel & Asdonk, 2011; Heublein et al., 2017, S.12). Neben der zunehmenden Heterogenität der Studierenden (Pasternack & Wielepp, 2013) stellen fachliche Anforderungen in MINT-Studieneingangsphasen eine besondere Hürde dar (Heublein et al., 2017, S. 124). In Chemie gaben 2010 knapp 50 % der Abbrechenden Leistungsgründe als Hauptabbruchmotiv an – in keinem anderen Fach waren es mehr (Heublein et al., 2010, S. 156).
Im Rahmen des Projekts „Was überfordert (Bio-)Chemiestudierende zu Studienbeginn?“ (gefördert durch den Fonds der chemischen Industrie) wurden die kognitiven und affektiven Überforderungsursachen der Studierenden im Kontext individueller Lebenslagen von mir empirisch erhoben und nach Stresserleben (Jerusalem, 1990) differenziert analysiert (Schwedler, 2017). Es zeigt sich, dass das Stresserleben verlässlich mit den Abbruchentscheidungen korreliert und gerade die Anforderungen im abstrakt-mathematischen Bereich zu Überforderungsgefühlen führen. Dies trifft (neben der Mathematik) das chemische Kernfach Physikalische Chemie, gerade bezüglich des studentischen Selbststudiums.
Selbstreguliertes Lernen in Physikalischer Chemie, Mathematik im chemischen Kontext
Anknüpfend an die Erhebung zur studentischen Überforderung interessiere ich mich besonders für das studentische Selbststudium in Physikalischer Chemie: Es mangelt nicht nur am Verständnis physikochemischer Konzepte (Tsaparlis & Finlayson, 2014); zudem dominieren algorithmisch-prozedurale Problemlösestrategien (Auswendiglernen von Formeln und Rechenrezepten), die die Studierenden auch ohne Durchdringung des chemischen Sachverhalts recht gut beherrschen (Nyachwaya et al., 2014). Hinsichtlich des Selbststudiums insgesamt ist aber unklar, ob Studierende trotz ihres Wunsches nach Verstehen (Sözbilir, 2004) überwiegend algorithmisch „pauken“ oder eher verständnisorientiert (meaningful, Novak, 1998) vorgehen und welche Faktoren dazu beitragen.
Um das selbstregulierte Lernen der Studierenden in Physikalischer Chemie genauer zu charakterisieren, werden derzeit die Ziele, Strategien, Beliefs und Bewertungen der Studierenden (Göller, 2020; Zimmermann et al., 2015) in semesterbegleitenden Einzelfallstudien durch qualitative Interviews und Lerntagebücher empirisch erfasst. Die Erhebung wird durch Lernmaterialanalysen und Experteninterviews mit Dozierenden ergänzt. Auf diese Weise soll zum Einen eine genauere Charakterisierung disziplinspezifischer Lernstrategien erfolgen und zum Anderen eine Analyse studentischer Transformationsprozesse und ihre Ursachen vorgenommen werden. Mit diesem Projekt hat gerade ein Doktorand im Oktober 2020 begonnen und ich plane, dazu eine weitere Doktorandenstelle über die DFG zu beantragen.
Ein weiteres Projekt betrachtet die sinnstiftende Verknüpfung mathematischer Werkzeuge mit chemischen Sachverhalten aus komplementärer Perspektive und behandelt die heterogenitätssensible Förderung mathematischer Kompetenzen im chemischen Kontext (Kooperation mit Dr. Hopp, Uni Bielefeld, gefördert durch den FCI). Dazu werden binnendifferenzierte, digitale Übungsaufgaben mit gestuften Lernhilfen zur Initiierung tiefgehender Lernprozesse entwickelt (Buschmann et al., 2021) und mit einer individuellen Lernfortschrittsdiagnostik kombiniert. Die so entstehende, virtuelle Lernlandschaft kann den Dozierenden wertvolle Hinweise auf den studentischen Lernstand (u. a. zur effizienteren Gestaltung der kostbaren Präsenzzeit) liefern.
Lernen mit Simulationen am Übergang von der Schule zur Universität
Simulationsbasierte Selbstlernmodule in der universitären Lehre
Mit Blick auf das mangelnde Konzeptverständnis in der tertiären Physikalischen Chemie fehlen Instruktionsstrategien, die submikroskopische, makroskopische und symbolische Repräsentationen (Formeln, Diagramme, vgl. Johnstone, 2000) sinnstiftend verknüpfen (vgl. Becker et al., 2015; Hernández et al. 2014). Daher habe ich das digitale Lehrkonzept BIRC (Bridging Imagination and Representation in Chemistry, vgl. Schwedler, 2020, Kooperation mit Dozierenden der Universität Bielefeld) zur individuellen Förderung im Selbststudium entwickelt. Jede Lerneinheit enthält eine maßgeschneiderte, interaktive Moleküldynamiksimulation (erstellt im Interface molecular workbench next generation, Tinker & Xie, 2008), mit der die Lernenden ihre eigenen Teilchenvorstellungen überprüfen und mit den anderen Ebenen verknüpfen. Ein solches Vorgehen ist effizient in der Restrukturierung mentaler Modelle (Landriscina, 2009) im Sinne des conceptual change und conceptual growth.
Das Lehrkonzept wird seit dem WS 17/18 im Pflichtmodul „Physikalische Chemie Basis“ an der Universität Bielefeld eingesetzt. Qualitative ThinkAloud-Erhebungen (van Someren et al., 1994) belegen ihre Wirksamkeit hinsichtlich eines Konzeptwechsels (Schwedler, 2019; Schwedler & Lyczek, 2019) sowie die Initiierung verständnisorientierter Lernprozesse. Anhand quantitativer Untersuchungen (Pre-Post, Fragebögen und Tests im Two-Tier-Format) ist eine hohe Nutzung und eine statistisch signifikante Steigerung des Konzeptverständnisses zu beobachten (Schwedler, 2020; Schwedler & Kaldewey, 2020). Das Projekt wurde als Teil des Programms „Richtig Einsteigen“ durch das BMBF und den Fonds der chemischen Industrie gefördert.
Lernen mit Simulationen in der gymnasialen Oberstufe
In diesem Projekt wird eruiert, inwieweit die im Studium fehlenden Kompetenzen durch Lernen mit Simulationen bereits in der gymnasialen Oberstufe aufgebaut werden können. Thematischer Fokus ist das gesellschaftlich hochrelevante aber abstrakte Basiskonzept Energie, welches mit zahlreichen unangemessenen Vorstellungen einhergeht (Bain et al. 2014; Schmidkunz & Parchmann 2011). Das Unterrichtskonzept SIMMS (Simulation-based Instruction for Mental Modelling in Schools, Peperkorn et al., erscheint 2022) für die gymnasiale Oberstufe kombiniert Simulationen mit Schülerzeichnungen als einem weiteren, potenten Werkzeug zur Stärkung submikroskopischer, mentaler Modelle (cognitive theory of drawing construction, van Meter & Firetto, 2013). Bisher wurden sechs Unterrichtseinheiten (gefördert durch den FCI) im Gruppenkonzept sowie in einer Einzelarbeitsvariante für das distance learning entwickelt und empirisch an verschiedenen Bielefelder Schulen evaluiert (Peperkorn & Schwedler, 2021)
Derzeit wird daran gearbeitet, den Einfluss der Kombination aus Simulation und Schülerzeichnungen auf die Schülervorstellungen und den Einsatz der Simulationen für das Lernen in Präsenz und auf Distanz zu explorieren; ein entsprechendes Promotionsprojekt läuft noch. Perspektivisch interessiert mich, inwieweit neben der Verbesserung von Schülervorstellungen auch ein verbessertes Verständnis von Simulationen als Instrumente der Erkenntnisgewinnung erreicht werden kann.
Fachdidaktische Professionalisierung im Lehramtsstudium
Seit kurzem exploriere ich die fachdidaktische Professionalisierung im Lehramtsstudium hinsichtlich digitaler und inklusiver Kompetenzen als drittes Forschungsfeld.
Mit Blick auf den dringenden Professionalisierungsbedarf der Lehramtsstudierenden bezüglich digitaler Kompetenzen (Becker et al., 2020) koordiniere ich derzeit den MINT-Bereich des universitätsweiten Projekts BiLinked, welches mit knapp 4 Mio Euro von der Stiftung Innovationen in der Hochschullehre gefördert wird. Neben der Professionalisierung der Dozierenden und Studierenden hinsichtlich digitaler Kompetenzen steht die gezielte Förderung kooperativen studentischen Selbststudiums durch digital angereichte Lehrkonzepte im Fokus des Projekts. In meinem eigenen Teilprojekt, der Lernwerkstatt ChemieDidaktik Digital, sollen Studierende digitale Lehr-Lernsettings zur digitalen Simulation und Präsentation im Chemieunterricht entwickeln und im Praxissemester erproben. Darüber hinaus ist die empirische Erhebung studentischer Kompetenzen zum TPACK (Mishra & Köhler, 2006) bezüglich der digitalen Kompetenzbereiche Simulation und Präsentation (Becker et al., 2020) vorgesehen.
Bezüglich der Entwicklung inklusiver Kompetenzen wurde 2019 eine Lehrveranstaltung zur Gestaltung chemiebezogener, inklusiver Experimentiersettings in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg (Dr. K. Weirauch, AK Geidel, Chemiedidaktik und Dr. C. Reuter, AK Ratz, Sonderpädagogik) in Bielefeld eingeführt. Daraus hat sich eine Kooperation zur gemeinsamen Erfassung studentischer Einstellungen (quantitativ, Siegemund et al., 2020) und inklusiv-unterrichtlicher Planungskompetenzen (qualitativ, nach Stinken-Rösner et al., 2020 und Brühwiler 2014) entwickelt. Die von einem multiprofessionellen Team aus Chemiedidaktiker:innen und Sonderpädagog:innen entwickelten, qualitativen Testinstrumente werden derzeit gemeinsam mit den literaturbekannten quantitativen Skalen zur empirischen Erhebung des Professionalisierungsprozesses rund um die Lehrveranstaltungen an beiden Standorten eingesetzt (Schwedler et al., erscheint 2022).
Seit 04/2022 |
Professur für Didaktik der Chemie, Universität Bielefeld |
Ruf an die Universität Wien, abgelehnt | |
10/2021–03/2022 |
Vertretungsprofessur, Didaktik der Chemie, Universität Bielefeld |
11/2019 |
Habilitation und venia legendi im Fachbereich Didaktik der Chemie Thema: „Analyse des Studienstarts im Fach Chemie –fachdidaktische Wege aus der Überforderung“ |
11/2013–11/2019 |
Akademische Rätin, Didaktik der Chemie Universität Bielefeld, AK Prof. G. Lück |
10/2013 |
2. Staatsexamen, Chemie und Physik, GymGe Berufsbegleitend, Gesamtnote 1.0 |
08/2011–10/2013 |
Angestellte Lehrkraft für Chemie und Physik im Seiteneinstieg Widukind-Gymnasium Enger (NRW), berufsbegleitendes Referendariat |
05/2010–08/2011 |
Studiengangskoordinatorin Fakultät für Chemie, Universität Bielefeld |
02/2010 |
Promotion (Dr. rer Nat.) Forschungsgebiet: Mehrdimensionale Fluoreszenzspektroskopie, Gesamtnote „mit Auszeichnung“ |
08/2005 |
Diplom in Chemie Gesamtnote „mit Auszeichnung“ |
07/1999 |
Erwerb der allgemeinen Hochschulreife Gymnasium Adolfinum, Bückeburg (Niedersachsen), Gesamtnote 1.0 |