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  • Fakultät für Gesundheitswissenschaften

    Arbeitsgruppe 7: Umwelt und Gesundheit

    © Universität Bielefeld

Prävention multiresistenter Erreger

Multiresistente Erreger (MRE), d. h. Bakterien, gegen die viele Antibiotika wirkungslos geworden sind, stellen unser Gesundheitssystem vor vielfältige Herausforderungen. Dabei wird deutlich, dass die Prävention von MRE-Übertragungen ein wesentlicher Lösungsansatz ist. Die Etablierung problemorientierter Lösungsstrategien setzt jedoch – weit über bisher implementierte Modelle hinaus – eine Bündelung und Fokussierung der unterschiedlichsten Aktivitäten aller an der Versorgung Beteiligten voraus. Der von den Gesundheitswissenschaften präferierte Ansatz betrachtet aus einer bevölkerungs- und systemorientierten Sichtweise sowohl medizinische, epidemiologische, soziologische als auch ökonomische Aspekte der MRE-Problematik. Die Public Health-Forschung analysiert zum einen die Situation der Bevölkerung hinsichtlich der Prävalenz und Inzidenz von MRE-Infektionen sowie Kolonisationen. Zum anderen erkennt sie Risiken, denen bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgesetzt sind. Diese Forschungsansätze tragen zur Planung, Gestaltung sowie Evaluation von Versorgungsstrukturen und Therapieprogrammen zur Behandlung von MRE-Patientinnen und Patienten bei.

MRE-Netzwerk Ostwestfalen-Lippe

Die Resistenzen von Krankheitserregern gegen Antibiotika haben in den letzten Jahren zuge-nommen. Multiresistente Erreger, wie z. B. Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA), Bildner von Extended-Spectrum-Betalaktamase (ESBL) oder andere gramnegative Stäbchenbakterien (MRGN), spielen inzwischen in allen Versorgungsbereichen eine wichtige Rolle.

Der Kontakt mit diesen Keimen ist für gesunde Menschen unbedenklich – selbst wenn sie auf den Menschen übergehen und längere Zeit z. B. auf der Haut oder im Darm verbleiben (=Besiedlung/Kolonisation). Kommen jedoch immungeschwächte oder multimorbide Men-schen mit diesen Erregern in Berührung, so kann es zu schwer therapierbaren Infektionen kommen.

Seit 2009 engagieren wir uns daher im Netzwerk „mre-owl.net“, um aus Public Health-Sicht Lösungsstrategien für die Prävention von Infektionen mit MRE in Ostwestfalen-Lippe (OWL) zu entwickeln. Dazu stellen wir Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen und der interessierten Öffentlichkeit zielgruppenspezifische Informationen über die Problematik von multiresistenten Erregern (MRE) zur Verfügung. Zudem entwickeln wir auf der Grundla-ge der regionalen Epidemiologie von MRE lokal angepasste Konzepte zur Prävention von MRE und zur Versorgung von Patientinnen und Patienten mit MRE.

Als Netzwerk in der Region OWL agieren wir in sämtlichen Settings der stationären und ambulanten Versorgung. Von 2010 bis 2012 haben wir uns im Netzwerkverbund "MRE-Netzwerk Nordwest" als eines von sieben Modellnetzwerken engagiert. Alle diese Modell-netzwerke haben sich unterschiedlichen Referenzthemen gewidmet. Wir haben uns für das Thema "Rehabilitation" entschieden und fokussieren (auch nach Ende der Projektlaufzeit) weiter auf die Verbesserung der Prävention von MRE und die schnittstellenübergreifende Versorgung im Kontext der Rehabilitationskliniken in OWL, da in der Region viele dieser Einrichtungen ansässig sind. Seit der Laufzeit des "MRE-Netzwerks Nordwest" engagieren wir uns auch für die Vergabe von MRE Qualitätssiegeln. Um diese zu erwerben, müssen stationäre Einrichtungen bis zu zehn Qualitätsziele erfüllen. Die Ziele decken u. a. Themenbe-reiche ab wie Epidemiologie, Umsetzungen von Empfehlungen zum Umgang mit MRE und regelmäßige Schulungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ziel der Siegelvergabe ist eine Verbesserung des Schutzes von Patientinnen und Patienten in stationären Einrichtungen.

Das Netzwerk mre-owl.net ist eine Kooperation der Gesundheitsämter im Regierungsbezirk Detmold (Stadt Bielefeld, Kreis Gütersloh, Kreis Herford, Kreis Höxter, Kreis Lippe, Kreis Paderborn, Kreis Minden-Lübbecke) sowie der AG 7. Die wissenschaftliche Leitung des Projekts hat Prof. Dr. Claudia Hornberg, die Finanzierung übernehmen die Gesundheitsämter in Eigeninitiative. Diese Form der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen Gesundheitsdienst und einer wissenschaftlichen Einrichtung für Gesundheitswissenschaften ist in Nordrhein-Westfalen bislang einmalig und wird zunächst bis Mitte 2015 weitergeführt werden.

Weitere Informationen erhalten Sie unter www.mre-owl.net und www.mre-netzwerk.nrw.de.

Epidemiologie von MRE-Kolonisationen und -Infektionen

Um Lösungsansätze für den Umgang mit MRE entwickeln zu können, sind fundierte Kennt-nisse über die Epidemiologie dieser Erreger eine unabdingbare Voraussetzung. Die Epidemio-logie von und der Umgang mit multiresistenten Erregern hat sich besonders in den letzten Jahren verändert. Stand bis vor etwa fünf bis zehn Jahren noch der Methicillin-resistente Sta-phylococcus aureus (MRSA) im Fokus von Klinik und Forschung, so sind es heute v. a. mul-tiresistente gramnegative Erreger wie z. B. Klebsiella pneumoniae (K. pneumoniae), Acineto-bacter baumannii (A. baumannii), Enterobacter cloacae (E. cloacae) oder Pseudomonas ae-ruginosa (P. aeruginosa). Die Prävalenzen und Inzidenzen von Infektionen mit MRE, v. a. mit gramnegativen Erregern, haben in den letzten Jahren in den stationären und nichtstationären Versorgungsbereichen deutlich zugenommen. Diese Entwicklungen sind besonders beunruhi-gend, weil die zur Verfügung stehende Zahl von Reserveantibiotika sehr eingeschränkt ist. Resistenzentwicklungen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einsatz von Antibiotika. Auf den durch den Antibiotikaeinsatz ausgelösten Selektionsdruck reagieren ehemals sensible Erreger ebenfalls mit Resistenzbildung („Resistenzspirale“). Dies macht die Notwendigkeit von Antibiotic Stewardship-Strategien deutlich.

Neben dem MRSA-Typ, der im Zuge von medizinischen Maßnahmen erworben werden kann und weltweit immer noch den häufigsten Erreger von nosokomialen Infektionen darstellt (health care-associated MRSA, HA-MRSA), nimmt seit über zehn Jahren ein MRSA-Typ in der Allgemeinbevölkerung zu, der nicht mit den üblichen Risikofaktoren assoziiert ist (community-associated MRSA, CA-MRSA). Zunehmend wird auch die Bedeutung tierischer Reservoire (v. a. bei landwirtschaftlichen Nutztieren) als Quelle menschlicher MRSA-Besiedlungen diskutiert (livestock-associated MRSA). Da Antibiotika im Zuge der Metaphylaxe in großen Mengen in der Tiermedizin eingesetzt werden, bedarf es zunehmend umfassender Konzepte, die sich nicht länger ausschließlich auf human- oder veterinärmedizinische Versorgungstruk-turen bzw. Problembereiche konzentrieren. Im Hinblick auf die MRE-Problematik steht die Verzahnung und Kommunikation von Human- und Veterinärmedizin jedoch noch am Anfang ihrer Bemühungen.

Weitere Aspekte, die die Epidemiologie von MRE beeinflussen, sind die sich ändernden Al-ters- und Morbiditätsstrukturen in unserer Gesellschaft und die Verknappung der finanziellen Ressourcen in unserem Gesundheitssystem. Vor dem Hintergrund zunehmender Arbeitsver-dichtung bei gleichzeitigem Personalabbau treten Basishygienemaßnahmen nicht selten in den Hintergrund.

Ergänzende Forschungsarbeiten zur Erfassung der Epidemiologie von MRE sind notwendig, um sektorenübergreifende Verfahrenskorridore, Behandlungspfade und Elemente ökonomisch motivierter Programme („Managed-Care-Programme“) zu entwickeln. Die Optimierung von MRE-Screening Methoden bzw. die Erfassung von praxistauglichen Risikofaktoren sind in unterschiedlichen, v.a. stationären, Settings notwendig, um die Weiterverbreitung von MRE zu verhindern. Gleichzeitig müssen sich die Kommunikation und die Zusammenarbeit an den Schnittstellen von ambulanten und stationären Versorgungsbereichen deutlich verbessern.

Aufgrund der Komplexität dieses Problembereiches wird Public Health einen entscheidenden Beitrag zur Kontrolle von MRE leisten müssen, denn die biomedizinische Betrachtungsweise allein ist nicht ausreichend, um die schnittstellenübergreifenden Versorgungsprobleme durch MRE zu lösen.

Prof. Claudia Hornberg
Fakultät für Gesundheitswissenschaften, AG 7 Umwelt & Gesundheit
Tel.: 0521 - 106 - 4365; E-Mail: claudia.hornberg@uni-bielefeld.de


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