Auf dieser Webseite geben wir einen Überblick über unsere Forschungsaktivitäten zu Sportlichem Training im Gefängnis (SpiG), die seit Mai 2025 einen Erkundungsbereich an der Universität Bielefeld darstellen.
Das übergeordnete Ziel von Justizvollzugsanstalten besteht – neben dem Schutz vor weiteren Straftaten – in der Resozialisierung (Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, 2024). Als beliebteste Freizeitbeschäftigung der Gefangenen soll der Sport hierzu einen wichtigen Beitrag leisten (Kuhn, 2019).
Bisherige Studien zum Sport im Strafvollzug beziehen sich überwiegend auf die primäre Kriminalprävention, die darauf abzielt, Haftschäden wie beispielsweise psychophysischen und sozialen Gesundheitsproblemen entgegenzuwirken. Der Begriff Kriminalprävention umfasst jedoch auch die sekundäre und tertiäre Prävention. Während sich die sekundäre Kriminalprävention auf den Übergang in die Freiheit nach der Haft konzentriert, zielt die tertiäre Kriminalprävention darauf ab, Rückfälle nach der Entlassung zu verhindern (Wirth, 2022). Es liegen jedoch kaum Studien zu diesen Phasen vor. Basierend auf dieser Drei-Ebenen-Konzeption adressiert der beantragte Erkundungsbereich systematisch die folgenden Fragen:
Primär: Welche Sportarten (z.B. Mannschafts- vs. Individualsportarten) und Vermittlungsmethoden eignen sich, um die unterschiedlichen Gefangenengruppen (z.B. Lebensältere, Jugendliche, Frauen) bedarfsgerecht zur eigenständigen sportlichen Betätigung zu befähigen und sowohl ihre Gesundheit zu fördern als auch soziale Kompetenzen zu entwickeln?
Sekundär: Welche Personen (z.B. Vollzugsbeamt*innen, Trainer*innen) mit welchen Kompetenzen sollten Sportangebote vermitteln, wie müssen diese Angebote inszeniert werden und wie muss eine Zusammenarbeit strukturell gerahmt werden, um eine soziale und berufliche Integration der Gefangenen vorzubereiten?
Tertiär: In welchem Ausmaß können die im und durch Sport angeregten personalen und sozialen Kompetenzen von Gefangenen auf andere Lebensbereiche außerhalb des Sports und auf die Zeit nach der Entlassung transferiert werden?
Hier finden Sie weitere Informationen zum Projekt und zum Projektteam.
Bei Fragen zum Projekt können Sie uns gerne kontaktieren.
Prof. Dr. Pamela Wicker
Universität Bielefeld
Wissenschaftliche Projektleitung
pamela.wicker@uni-bielefeld.de
Prof. Dr. Bernd Gröben
Universität Bielefeld
Wissenschaftliche Projektleitung
bernd.groeben@uni-bielefeld.de
Vorarbeiten
FF 1: Bedarfsgerechte Sportarten
Hochintensives Intervalltraining steigert die körperliche Leistungsfähigkeit und reduziert das Körpergewicht (Dransmann et al., 2021). Regelmäßige Sportangebote schaffen neue Kommunikations- und Interaktionsräume (Dransmann et al., 2023) und können die Gesundheit und das Wohlbefinden der Gefangenen verbessern (Herold et al., 2023). Zudem wird das Bewegungsrepertoire durch neu erlernte Sportarten erweitert (Czyrnick-Leber & Heye, 2023). Bedarfsgerechte Sportangebote können die niedrigen Partizipationsraten von weiblichen Gefangenen erhöhen (Koddebusch et al., 2025).
FF 2: Kompetenzen und Zusammenarbeit
Trainer*innen im Gefängnis wird eine spezifische Ausbildung empfohlen, um Sportprogramme angemessen durchzuführen (Wicker et al., 2023). Aus der Perspektive der Gefangenen sind Authentizität, energisches Auftreten, körperliche Erscheinung und sportliche Fähigkeiten entscheidende Qualitäten für Trainer*innen (Dransmann et al., 2024b). Die Anleitung sportlicher Angebote kann zur Reflexion des beruflichen Habitus der Dozierenden anregen (Czyrnick-Leber et al., 2022) und auch Lehramtsstudierende können sich – unter Wahrung der institutionellen Autorität der Vollzugsbeamt*innen – im Rahmen ihrer Professionalisierung reflektieren und weiterentwickeln (Czyrnick-Leber & Gooßen, 2025).
FF 3: Transfer
Sport verbessert die soziale Kohäsion und Integration der Gefangenen (Dransmann et al., 2024a) und steigert ihre Konzentrationsfähigkeit, was ihnen ermöglicht, Arbeitsprozesse über längere Zeiträume durchzuhalten (Czyrnick-Leber et al., 2025). Zudem erleben die Gefangenen Sport als eine Möglichkeit, sich selbstbestimmt und identitätsstärkend zu fühlen (Bahlo et al., 2022). Sport fördert eine vertrauensvolle Kommunikation mit externen Gleichaltrigen, die temporär Geschlechterstereotype und hierarchische Strukturen aufbricht (Czyrnick-Leber et al., 2024).
Perspektiven
Primär: Im Sinne von Bourdieus Theorie der sozialen Praxis wird untersucht, wie der Handlungsspielraum von Gefangenen durch die Vermittlung von Wissen zur Trainingsplanung erweitert werden kann. Ein Mixed-Methods-Ansatz kombiniert qualitative Methoden wie Interviews und teilnehmende Beobachtungen mit quantitativen Ansätzen wie Fragebögen und Wissenstests zur Erfassung der erworbenen Kompetenzen. Parallel dazu werden die Auswirkungen auf die Gesundheitsressourcen analysiert, um zu bestimmen, welche Sportarten und Vermittlungsmethoden die physische und psychische Gesundheit am effektivsten fördern. Hierbei kommen quantitative Methoden wie standardisierte Gesundheitsfragebögen und physiologische Messungen zum Einsatz, um Veränderungen zu erfassen.
Sekundär: Aus einer systemtheoretischen Perspektive wird untersucht, inwiefern Vollzugsbeamt*innen, Lehramtsstudent*innen und Trainer*innen als jeweilige Vertreter*innen des Rechts-, Erziehungs- und Gesundheitssystems sowohl mit den Gefangenen als auch untereinander anschlussfähig kommunizieren. Dies impliziert auch professionsbezogene Selbstreflexionsprozesse der Anleitenden. Dabei wird angenommen, dass verschiedene Professionen unterschiedliche Anreize setzen, um die langfristige Motivation der Gefangenen zu fördern. Expert*inneninterviewswerden mit Gefangeneninterviews verglichen, um zu prüfen, inwiefern die Anreize deren Bedürfnisse erfüllen und sich anhand der Selbstbestimmungstheorie erklären lassen.
Tertiär: Aus der Perspektive der Theorie des sozialen Kapitals wird untersucht, wie Sport als Medium zur Förderung von Netzwerken und Vertrauen nicht nur während der Haft zur Teilhabe, sondern auch langfristig zur Resozialisierung und Integration in verschiedene gesellschaftliche Bereiche beiträgt. Beispielsweise können Sportarten wie Schwimmen als Kulturgut dienen, das den Zugang zu neuen sozialen Netzwerken erleichtert und soziale Interaktionen fördert. Kreative Bewegungsangebote können zusätzlich den Zugang zu kulturellen Erfahrungen unterstützen. Dabei wird untersucht, wie sportliche Aktivitäten helfen können, konstruktive Freizeitgewohnheiten zu entwickeln und soziale Bindungen zu stärken, die die Rückkehr in die Gesellschaft fördern.
Administrative und wissenschaftliche Projektleitung:
Dr. Uta Czyrnick-Leber
Universität Bielefeld
Abteilung Sportwissenschaft
Arbeitsbereich Sport und Gesellschaft
Universitätsstr. 25
33615 Bielefeld, Deutschland
Telefon: +49 521 106-5122
E-Mail: uta.leber@uni-bielefeld.de
Administrative und wissenschaftliche Projektleitung:
Dr. Milan Dransmann
Universität Bielefeld
Abteilung Sportwissenschaft
Arbeitsbereich Sport und Gesellschaft
Universitätsstr. 25
33615 Bielefeld, Deutschland
Telefon: +49 521 106-2023
E-Mail: milan.dransmann@uni-bielefeld.de
Projektmitarbeit:
Martin Koddebusch
Universität Bielefeld
Abteilung Sportwissenschaft
Arbeitsbereich Sport und Gesellschaft
Universitätsstr. 25
33615 Bielefeld, Deutschland
Telefon: +49 521 106-2023
E-Mail: martin.koddebusch@uni-bielefeld.de