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Nachhaltigkeit im Studierendenwerk - ein Spagat zwischen Zielkonflikten

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Das Tagesgeschäft des Studierendenwerks in Zahlen

Essen an einem durchschnittlichen Dienstag im Jahr 2019 in der Mensa im X-Gebäude: 5.000

Davon vegetarisch oder vegan:
über 50%

Verkauf von fair gehandeltem Kaffee im Gebäude X, im Westend und der Stehcafeteria: 8 Tonnen/Jahr

Bearbeitete BAföG-Anträge: 10.000/Jahr

Studierende in den Wohnheimen in Bielefeld: 2.400

Kinder in den Kitas des Studierendenwerks: 161

Interview mit Dr. Jens Schröder (Geschäftsführer, Studierendenwerk Bielefeld) und Jaqueline Bettels (Referentin für Kommunikation, Studierendenwerk Bielefeld)

Stand September 2022

Über 41.000 Studierende im gesamten Zuständigkeitsbereich und eine Bilanzsumme von knapp 85 Millionen Euro: Das Studierendenwerk Bielefeld arbeitet mit seinen 400 Mitarbeitenden nicht nur für die Universität Bielefeld, sondern auch für die Fachhochschule Bielefeld, die Technische Hochschule OWL und die Hochschule für Musik in Detmold. Als Anstalt des öffentlichen Rechts betreibt das Studierendenwerk Mensen sowie Cafeterien, Wohnheime und Kindertagesstätten und unterliegt dabei dem Studierendenwerksgesetz NRW sowie der eigenen Satzung.

 

Der Begriff Nachhaltigkeit wird so oft verwendet, dass er sich manchmal zu einem Gummiwort ausdehnt. Welches Verständnis von Nachhaltigkeit hat das Studierendenwerk Bielefeld?

Natürlich sind uns die meisten Definitionen von Nachhaltigkeit und deren drei Dimensionen geläufig. Für die Praxis bei uns im Studierendenwerk würde ich die Leitlinie aber einmal griffig formulieren: So viel Ökologie wie wirtschaftlich tragfähig ist. Wir agieren nach Handelsrecht, machen einen Jahresabschluss und wollen, wenn es geht, einen Überschuss erwirtschaften, vor allem um Wohnheime zu renovieren, sanieren oder ggf. neu zu bauen. Und zweitens sind wir natürlich unserem Satzungsauftrag verpflichtet, die Studierenden mit preiswerter Gastronomie und preiswertem Wohnraum zu versorgen. Vereinfacht ausgedrückt: Alles was in diesen Rahmen hineinpasst, kann an ökologisch orientierten Maßnahmen realisiert werden. Auch wenn es sich in Heller und Pfennig oft nicht rechnet. Bei vielen Maßnahmen müssen wir entscheiden, inwiefern wir bereit sind, Verluste daraus zu akzeptieren. Ein Beispiel sind die Überdachungen für Fahrradständer an den Wohnheimen. Sie verursachen Investitionsaufwand und bringen finanziell zunächst einmal wenig. Aber unseres Erachtens braucht es sie mit Blick auf die Verkehrswende als akzeptierte und bequeme Abstellmöglichkeiten. Ein anderes aktuelles Beispiel sind Photovoltaikanlagen. Bei jeder Bau- oder Sanierungsmaßnahme lassen wir eine PV-Installation durchrechnen, haben derzeit jedoch Amortisationszeiträume von 15 – 20 Jahren. Da ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass die Anlage schon vorher erneuert werden muss. Aber bei einigen Häusern bereiten wir jetzt dennoch eine entsprechende Investition vor, da wir sie für ökologisch sinnvoll halten und uns das finanzielle Risiko tragbar erscheint.

Das Thema steht schon erstaunlich lange auf der Agenda. Der erste Meilenstein war wohl die Einführung des Bio-Kaffees aus fairem Handel etwa im Jahr 2000. Sechs Jahre später haben wir uns entschieden, alle Neubauten mit einem besseren Energiestandard als die jeweils gültige Energieeinsparverordnung (EnEV) zu bauen und bei Sanierungsmaßnahmen mindestens die jeweils gültige EnEV zu erreichen. Bei dem Neubau an der Wertherstraße 160 -162 sind wir zum Beispiel bei „Effizienzhaus 55“. Manche Studierendenwerke gehen inzwischen sogar auf Passivhausstandard, dies kann jedoch auch Probleme mit sich bringen, wenn nicht ausreichend gelüftet wird. Da die Häuser extrem gut gedämmt sind, ist gutes Lüften essentiell, sonst kann es schnell zu Schimmelbildung kommen. Lüftungsanlagen sind sehr teuer im Einbau und Betrieb und können zu Bakterienschleudern werden, wenn sie nicht richtig gepflegt werden. Mit unserem Ansatz, den Standard zu übererfüllen, jedoch nicht bis ins letzte Detail auszureizen, fahren wir bisher ganz gut.

Wir haben das ganze Spektrum unserer Tätigkeiten im Blick, aber die Schwerpunkte sind wohl Gastronomie, Gebäudebetrieb und Bauen. Eine große Maßnahme ist der aktuelle Neubau des Wohnheims an der Wertherstraße, unseres Wissens das erste Studierendenwohnheim in NRW, das weitgehend aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gebaut wird. Die 18 stattlichen Bäume, die vorher auf dem Gelände standen, wurden übrigens per Bagger in den Außenbereich eines anderen Wohnheims umgepflanzt.

Ein weiterer großer Schritt ist, dass wir seit 2020 unseren eigen eingekauften Strom komplett aus erneuerbaren Energien beziehen

Oft sind es aber die kleinen Maßnahmen, auf die es ankommt: Viele erinnern sich zum Beispiel, dass es bis vor einem Jahr in der Mensa X zwei Schaukästen gab, in denen die jeweiligen Tagesgerichte ausgestellt waren. Meist wurden sie nach eineinhalb Stunden noch einmal ausgetauscht. Angenommen, dort wurden pro Tag zehn Essen präsentiert, ergibt das bei jährlich 250 Essenstagen rund 2.500 Essen, die nun nicht mehr im Abfall landen. An der Idee, die Menüs alternativ mit Fotos darzustellen, arbeiten wir gerade.

Und ein Meilenstein, der gerne übersehen wird: Bei kleinen Standorten unserer Mensen und Cafeterien stellt sich immer die Frage, wie viel vor Ort gekocht und wie viel dorthin transportiert wird. Wir haben die Grundsatzentscheidung getroffen, dass wir möglichst viel vor Ort kochen. Aufgrund unseres Qualitätsanspruchs ist Vor-Ort-Kochen frischer und wir können besser auf die unterschiedliche Nachfrage reagieren. 99% des Essens kochen wir morgens für den Tag. Falls ein Gericht zuneige geht, wird nachgekocht. Da wir versuchen, nicht übermäßig einzukaufen, kann es schon einmal vorkommen, dass um 13:30 Uhr nicht mehr alles verfügbar ist. So fallen fast keine Reste von zubereitetem Essen an. Wir bekommen manchmal Anfragen von Initiativen zum Retten von Essen, dies ist für uns jedoch kaum relevant. Speisereste, die auf den Tellern bleiben, kommen in eine regionale Biogasanlage eines Landwirts in Bielefeld-Senne.

Im Zuge des ÖKOPROFIT-Projekts haben wir die Stärkebeilagen, wie Nudeln oder Reis, auf Bio umgestellt. Da diese jedoch auch mit Nicht-Bio-Produkten in Kontakt kommen, dürfen wir sie dann nicht mehr als „Bio…“ ausweisen. Hier überlegen wir uns gerade Möglichkeiten, um trotzdem darauf aufmerksam zu machen. Unsere Milch ist ebenfalls Bio.

Auch hier haben wir Zielkonflikte, vor allem, wenn die Bio-Produkte im Einkauf deutlich teurer sind als konventionelle Produkte. Gerade bei frischen Produkten wie Obst und Gemüse ist zudem die stabile Lieferbarkeit wichtig, da wir eine Gemeinschaftsgastronomie sind, die nach Speiseplan kocht und davon nicht so einfach abweichen kann. Wir haben ein riesiges Hygienemanagement und zahlreiche Ausweispflichten, wie für Allergene, bald auch Brennwerte und perspektivisch auch den CO2-Fußabdruck unserer Gerichte. Für all das braucht es die fixe Planung.

Wir nutzen hier gern die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass in Bielefeld bereits rund 80% unseres Essens vegetarisch oder vegan ist, wie die allermeisten Beilagen, das große Salatbuffet, die Eintöpfe, natürlich das vegetarische Tagesmenü und immer häufiger das Angebot an der Aktionstheke. Uns ist bewusst, dass die Indikationswirkung ganz stark von dem ausgeht, was auf dem Speiseplan steht. Wir werden sicher über die nächsten Jahre den Anteil von vegetarischen und veganen Menüs im Speiseplan verstärken. Und wenn wir schon bei den nächsten Jahren sind: Angesichts der aktuellen Preiswelle auf der Einkaufsseite wird es wohl unumgänglich sein, zu Preiserhöhungen kommen zu müssen. Die Diskussion steht in unseren Gremien in den nächsten Monaten an. Dies kann gegebenenfalls auch mit einer Angebotsverschiebung von fleischhaltig zu fleischlos einhergehen.

Das vor einem Jahr eingeführte Mehrwegsystem mit einem externen Lieferanten hat sich leider nicht bewährt. Als Problem hat sich unter anderem herausgestellt, dass in den Menüschalen eigentlich nicht mit dem Messer geschnitten werden darf, was jedoch nicht praxistauglich ist. So entstehen mit der Zeit immer mehr kleinste Schnitte in der Menüschale. Wenn diese bei uns aus hygienischen Gründen heiß gespült werden, gehen sie viel schneller kaputt als vom Hersteller angekündigt. Wir wollen bei Mehrweg bleiben, jedoch in Form eines selbstmitgebrachten Behältnisses oder voraussichtlich ab Herbst neu einem Behältnis, das günstig bei uns gekauft werden kann; jedoch ohne Pfandoption - also von den Gästen selbst gespült wird.

Insgesamt haben wir eine Prioritätenfolge in drei Schritten: An erster Stelle steht der Vor-Ort-Verzehr, zu dem wir ausdrücklich ermutigen, denn hier brennt das Licht sowieso und es gibt normale Teller und Besteck. Die zweite Priorität ist das Mitbringen von eigenen Behältnissen. Und wenn auch das nicht geht, muss für Einwegverpackungen gezahlt werden. Diese letzte Option soll allerdings nach und nach auslaufen.

Eine Gemeinschaftsgastronomie ist nicht schnell anpassbar. Die Mensa im Gebäude X ist für bis zu vier Menülinien ausgelegt. Wir werden häufiger gefragt, die Vielfalt des Angebots noch auszuweiten, das wäre jedoch schon technisch sehr sehr aufwändig.

Kochen erfordert zudem enorm viel Energie und hier wartet schon der nächste Zielkonflikt: Wie viel Energie setzen wir ein? Wir bieten am Campus Bielefeld an vielen Orten warme Gerichte an und müssen uns unter den aktuellen schwierigen Energiebedingungen fragen, wie viel wir wo und an welchen Tagen noch kochen können und wollen. In der Gemeinschaftsgastronomie sind jedoch auch schnelle Kapazitätsreduzierungen besonders aufwändig, sowohl produktionstechnisch als auch hinsichtlich der Warenwirtschaft, der Personalplanung oder der Wünsche der Gäste.

Kochen ist der erste große Energieverbraucher, der zweite ist das Spülen. Deshalb überlegen wir, ob an weniger frequentierten Tagen wie dem Freitag eine der beiden Spülanlagen in der Mensa X auch einmal aus bleiben kann. Denn wenn die Spülanlage einmal angeschaltet wird, werden direkt 1.000 Liter Wasser erhitzt. Wir können sie nicht auf 500 Liter runterregeln, nur weil halb so viel gespült werden muss. Kurzum: Die technischen Rahmenbedingungen machen Angebots- oder Ablaufänderungen oftmals sehr schwierig.

Beim Wareneinkauf haben wir im Moment ebenfalls ein schwieriges Umfeld für Nachhaltigkeit. Üblicherweise bekamen wir feste Lieferpreise für ein Jahr und feste Zusagen für Lieferfristen. Während der Corona-Zeit wurden Preise bereits alle zwei Monate neu festgelegt. Und seit dem Ukraine-Krieg bekommen wir teilweise nur noch Tagespreise und es gibt erhebliche Lieferengpässe. Das hat die Folge, dass wir mehr als 100% der Einkaufsvorgänge bei 60% des Umsatzes im Vergleich zu vor Corona haben. Die Folge sind kleinere Chargen und mehr Anlieferungswege. Doch momentan greifen wir bei knappen Produkten wie Speiseöl sofort zu, wenn wir beispielsweise überhaupt einmal 50 Liter kaufen können.

Bei ÖKOPROFIT handelt es sich in erster Linie um ein Umweltmanagementsystem. Es hat uns vor allem dazu gebracht, systematisch Daten zu sammeln und Kennzahlen zu ermitteln, beispielsweise zu Wasser, zu Energie oder auch zum Benzinverbrauch unserer relativ kleinen Pkw- und Lieferwagenflotte. Schon im Jahr 2009 hatten wir übrigens unsere Wohnheime im ÖKOPROFIT-Prozess, jetzt in 2020 die Mensa X und das Verwaltungsgebäude des Studierendenwerks.

Bei manchen umweltrelevanten Kategorien sind wir allerdings auch an Grenzen gekommen. Beispielsweise haben wir festgestellt, dass in unserem Unternehmen Abfall eine Kategorie ist, die schwer zu messen ist, sowohl in den Wohnheimen als auch in den Mensen. In der Gastronomie enthalten die Produktions- und Speiseabfälle zum Beispiel relativ viel Wasser. Den Abfall zu wiegen liefert da kaum relevante Zahlen oder Zeitreihen.

Wie jedes Managementsystem folgt ÖKOPROFIT dem Zyklus Planen-Messen-Bewerten-Maßnahmen treffen. Beim Planen, Messen und Bewerten wurden wir bisher leider in der Corona-Pandemie ziemlich ausgebremst. Wenn man plötzlich wochenweise nur noch 0 - 60% der normalen Umsätze hat und im Betrieb viel improvisiert werden muss, macht das einen geordneten Managementzyklus schwierig. Auch der Austausch mit anderen teilnehmenden Unternehmen, welcher im ÖKOPROFIT-Projekt immer besonders wertvoll ist, hat leider nicht wie gewohnt stattgefunden.

Unmittelbar: Energiesparen. Nicht nur in den energieintensiven Gastronomiebetrieben, sondern zum Beispiel auch in den Wohnheimen. Das Deutsche Studentenwerk, der Dachverband der Studierendenwerke, hat jetzt im Herbst eine Energiesparkampagne für Wohnheime ausgerollt, bei der wir mit dabei sind. Wir überlegen auch, die Nachttemperatur abzusenken, das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.

Ein weiterer Plan für die nächsten Monate ist die Sanierung des bekannten Wohnheims an der Universitätsstraße/Ecke Voltmannstraße, voraussichtlich im Standard KfW/BEG 85. Und auch der Bau weiterer Überdachungen für Fahrräder steht an einigen Wohnheimen noch auf der Liste.

In der Gastronomie wollen wir versuchen, für die Gerichte einen ökologischen Fußabdruck zu erheben. Die Idee ist, für jedes Gericht die verbundene CO2-Menge zu ermitteln und tagesaktuell in den Speiseplan zu integrieren, sowohl im Internet als auch auf den Bildschirmen. So können sich die Gäste bewusst für oder gegen ein Gericht entscheiden.

Wir nehmen uns so viel vor, wie wir glauben, packen zu können. Allerdings saugen Corona und die wirtschaftlichen Krisen gerade ziemlich viel Energie und Kapazität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb müssen wir manche Idee gerade hintanstellen oder manches – siehe der ÖKOPROFIT-Managementzyklus – läuft einfach holpriger. Generell freuen wir uns, wenn die Studierenden und Mitarbeitenden die Maßnahmen mittragen – und auch selbst einen Teil der Verantwortung übernehmen. Gerade in den Wohnheimen beim Energieverbrauch spielt das ja eine wichtige Rolle. Hier kann jede und jeder für mehr Klimaschutz mitwirken.

Hin und wieder wünschen wir uns bei den studentischen Bewohnerinnen und Bewohnern etwas mehr praktische Unterstützung. Ein Beispiel: Auf Wunsch von Studierenden haben wir beispielsweise große Biomülltonnen an einigen Wohnheimen zur Verfügung gestellt. Obwohl wir Info-Plakate direkt neben die Tonnen gehängt haben, werden die Abfälle nicht richtig getrennt, in der Folge vom Umweltbetrieb nicht mitgenommen und die Hausmeister müssen die Mülltonnen nachsortieren.

Und natürlich wünscht man sich immer auch Unterstützung von der Politik. Die neue NRW-Landesregierung hat sich ja zum Ziel gesetzt, die Landesverwaltung inkl. der Hochschulen, da würde ich das Studierendenwerk großzügig dazurechnen, bis 2035 klimaneutral zu machen. Dafür sind wir sehr aufgeschlossen. Außerdem kommt wohl im nächsten Jahr die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in den Jahresabschlüssen. Wir gehen davon aus, dass sie dann auch uns Studierendenwerke betreffen wird.


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