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Klima schützen für zukünftige Menschen?

Ein Beitrag von Zoé Dubois

Das Foto zeigt eine Fridays-for-Future-Demonstration. Eine Person trägt ein Schild mit der Aufschrift „You Decide“ und zwei Illustrationen der Erde: ein gesunder Planet mit Wäldern und Tieren steht neben einem düsteren Planeten voll brennender Bäume und Naturkatastrophen.
Foto: dmncwndrlch / Pixabay

Sie werfen mit Kartoffelbrei oder kleben sich auf Straßen fest: Klimaprotestierende der „Letzten Generation“. Der Name weist auf zwei Dinge hin: die Mitglieder sehen sich als letzte Generation, die die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise verhindern kann. Außerdem erinnert er an das beliebte Argument für Klimaschutz, wir seien verantwortlich dafür, den kommenden Generationen eine lebenswerte Erde zu hinterlassen.

Intuitiv würden wohl Viele der zweiten These zustimmen und sagen: Ja, wir haben Pflichten gegenüber den uns nachfolgenden Generationen (wie auch immer die konkret aussehen mögen). In der Philosophie stößt diese Annahme allerdings auch auf Kritik. Um eines der bekanntesten Argumente dieser Kritiker*innen und warum es gute Gründe gibt, sich trotzdem verantwortlich zu fühlen, geht es im Folgenden.

Wir können zukünftigen Menschen nicht schaden – oder?

Die Kernaussage dieses Argumentes, das Nichtidentitätsproblem genannt wird, lautet: wir können zukünftige Menschen nicht schädigen. Dieses Problem besteht aus zwei Teilen: dem Individualisierungsproblem und dem Kontingenzproblem.

Das Individualisierungsproblem sieht so aus: Verstorbene und lebende Menschen existieren und haben Merkmale und Eigenschaften, durch welche ihnen eine Identität zugewiesen werden kann – bei potenziellen Menschen ist das unmöglich. Für die intergenerationelle Gerechtigkeit ist das ein Problem, weil das klassische Konzept der Schädigung personenbezogen ist: eine Person wird geschädigt, wenn sie durch eine Handlung oder Unterlassung schlechter gestellt wird als ohne sie. Die zukünftigen Menschen stehen im Moment nirgends, also können sie auch nicht schlechter gestellt werden.

Das Kontingenzproblem folgt dem Individualisierungsproblem und besagt, dass die Existenz und Identität der zukünftigen Menschen von den Handlungen der gegenwärtig lebenden Menschen abhängen. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Theorie, Derek Parfit, begründet das so: Handlungen, deren Folgen in die Zukunft reichen, beeinflussen die Identität der Menschen, die in Zukunft existieren werden. Auch wir, die heute leben, konnten nur geboren werden, weil in der Vergangenheit alles genauso geschah, wie es geschah, weil unsere Eltern und Großeltern und alle anderen Vorfahren zu bestimmten Zeitpunkten an bestimmten Orten lebten, bestimmte Menschen trafen, bestimmte Kinder bekamen. Genauso verhält es sich mit der Zukunft.

Unser Umgang mit der Klimakrise

Kommen wir noch einmal zu der Frage, warum das ein Problem für die intergenerationelle Gerechtigkeit sein sollte. Nun, angenommen, wir beschließen, weder Ressourcen zu schonen noch Arten zu schützen oder den Temperaturanstieg aufzuhalten. Das Leben in einigen hundert Jahren sähe ganz anders und vermutlich schlechter aus als heute. Die Menschen, die dann leben, könnten durch die Geschichtsbücher blättern, unser Leben sehen, und sich beschweren, warum wir ihnen keine bessere Welt hinterlassen haben. Aber wenn wir das getan hätten – dann gäbe es diese Menschen nicht. Kann etwas, das konstitutiv für die Existenz eines Menschen ist, gleichzeitig sein Schaden sein? Man könnte hieraus den Schluss ziehen, dass es uns unmöglich ist, zukünftigen Menschen zu schaden.

Dann müssten wir uns allerdings kaum dem Wohlergehen zukünftiger Menschen verpflichtet fühlen. Würden wir danach handeln, hätte das gravierende Folgen. Um dieser Schlussfolgerung zu entgehen, gibt es verschiedene Ansätze. Viele davon setzen am Individualisierungsproblem an. Das Argument basiert auf einem personenbezogenen Ansatz, hierbei ist die Grundannahme, dass eine Handlung oder Unterlassung moralisch falsch ist, wenn sie schlecht für jemanden ist.

Philosoph*innen haben deshalb andere Lösungsvorschläge für das Nichtidentitätsproblem entwickelt. Einige versuchen sich an alternativen Schadenskonzepten, beispielsweise Axel Gosseries oder Lukas H. Meyer. Außerdem gibt es Ideen, die sich dem Thema der intergenerationellen Gerechtigkeit nicht aus einer personenbezogenen Sicht, sondern aus einem überindividuellen Blickwinkel nähern. Das heißt: die spätere Individualität der Personen ist nicht entscheidend, sondern dass wir anderen Menschen gegenüber bestimmte Rollen einnehmen, die wiederum mit Rechten und Pflichten einhergehen. Diese Richtung schlagen beispielsweise Dieter Birnbacher, Annette Baier oder Clark Wolf ein. Ein Beispiel von Wolf hierfür ist, dass wir verpflichtet sind, nicht für einen Steinrutsch auf einen Wanderweg zu sorgen. Dazu sind wir allen, die diesen Weg beschreiten wollen, gegenüber verpflichtet, unabhängig von ihrer Identität.

Auf die Klimakrise bezogen hieße das: Die konkrete Identität der Menschen in der Zukunft ist gar nicht ausschlaggebend dafür, ob wir ihnen gegenüber Verpflichtungen haben. Es reicht aus, zu wissen, dass sie existieren werden. Das Anliegen der Letzten Generation scheint somit berechtigt zu sein.

Quellen

Halsband, Aurélie (2016): Konkrete Nachhaltigkeit. Welche Natur wir für zukünftige Generationen erhalten sollten, Tübingen/Göttingen, Nomos.

Henning, Tim (2022): Die Zukunft der Menschheit – soll es uns weiter geben?, Berlin/Heidelberg, J. B. Metzler.

Mathis, Klaus (2021): Nachhaltige Entwicklung und Generationengerechtigkeit. Eine interdisziplinäre Studie aus rechtlicher, ökonomischer und philosophischer Sicht, Tübingen, Mohr Siebeck.

Parfit, Derek (1984): Reasons and Persons, Oxford, Oxford University Press.


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